
„Meine eigene Tat erlebe ich wie ein Trauma“, erzählt mir eine Täterin. „Die Bilder verfolgen mich massiv und es gibt nichts auf der Welt, was das entschuldigen könnte, was ich getan habe“, sagen manche. Manchmal kann uns das Leben in furchtbare Zwangslagen bringen. Schuld kann unterschiedlich groß sein. „Dass ich mein Kind geschlagen habe, verzeihe ich mir nie“, sagt eine Mutter. Viele Eltern plagen sich mit Erinnerungen an Szenen in denen sie ihren Kindern etwas angetan haben. Wer schuldig ist, dem fällt es sehr schwer, darüber zu sprechen.
Opfer zu sein, kann relativ leicht sein, so möchte man als Täter denken. Opfer bekommen Zuwendung und werden für gut gehalten. Schuldig zu sein heißt hingegen, ausgestoßen zu sein. Der Schuldige ist der Böse – manches ist unentschuldbar. Und doch werden viele schuldig, weil sie einst selbst Opfer waren.
Manche Menschen können Entschuldigungen nicht annehmen, was sich schrecklich für denjenigen anfühlt, der sich so gerne entschuldigen würde. Schuldgefühle können so sehr quälen, dass manche sich deswegen das Leben nehmen möchten. Andere können oft nicht verstehen, wie man sich so schuldig machen konnte. Mit Kindern, die missbraucht wurden, hat man Mitleid. Werden diese Kinder aber erwachsen und selbst wieder zu Tätern, hört das Mitleid auf: „Es lässt sich eben nicht alles mit der Kindheit entschuldigen!“, sagen wir.
Gefangen in der Schuld
Wer sich schuldig fühlt, weiß oft weder ein noch aus. Als Schuldige fühlen wir Verzweiflung und suchen nach einer Stimme, die sagt: „Ich verstehe das.“ Schuld wiegt schwer und fühlt sich oft tatsächlich an wie eine Last auf dem Körper. „Ach könnten wir es doch ungeschehen machen!“, denken wir. Auf Twitter las ich den Satz: „Schuldgefühle sind gar keine echten Gefühle.“ Wohl jeder, der unter schweren Schuldgefühlen leidet, kann hier nur vehement widersprechen.
Menschen taten sich schon immer schwer mit dem Schuldgefühl. Wir wollen das Schuldgefühl verbannen. In wohl allen Religionen geht es um das Thema Schuld. Die Schuld ist immer bei uns, denn Leben ist nicht möglich, ohne dass wir uns schuldig machen. Und daher warten wir so oft auch auf eine Erlösung von diesem Schuldgefühl. Beichtstühle wurden leider vielerorts abgeschafft. Dabei täte es so gut, wenn wir mit jemandem über unsere ungeheure Schuld sprechen könnten.
Was tun?
„Wie soll ich mit meinem Schuldgefühl umgehen?“, magst Du Dich fragen. „Wie kann ich die wiederkehrenden Bilder meiner Tat irgendwie abschwächen?“ Ich denke, ähnlich wie bei einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS), die man als Opfer nach seinem Schicksal entwickeln kann, so kann man auch bei einer PTBS, die infolge der eigenen Tat entstand, durch Psychoanalyse Antworten finden. Schuldgefühle überhaupt empfinden zu können, ist etwas Gesundes. Wirklich schwierig wird es, wenn Menschen keine Schuldgefühle entwickeln können.
Sich schuldig fühlen zu können heißt, sich als ein Selbst erleben zu können, das getrennt von anderen ist. Wer sich schuldig fühlt, erlebt sich als Täter. Er erkennt das Prinzip von Ursache und Wirkung an und erlebt in der Regel den anderen als von sich getrennt. All dies ist eine Voraussetzung für reife Gefühle, zu der neben der Trauer auch das Schuldgefühl zählen kann. Mit dem Schuldgefühl geht häufig das Gefühl von Reue einher, wozu auch der Wunsch nach Wiedergutmachung gehört. Mit solchen Regungen kann man mit anderen Menschen in Verbindung und in Resonanz treten.
Natürlich gibt es auch Formen des pathologischen Schuldgefühls, z.B. wenn man sich eben nicht von einem Täter getrennt fühlt und man meint, man sei genauso grausam wie der Täter. Schuldgefühle, die in Täterfamilien transgenerational nach Kriegen weitergegeben werden, sind hier nochmal ein ganz eigenes Kapitel. Man fühlt sich mit dem Täter verbunden (identifiziert) und fühlt sich schuldig, obwohl man sich selbst „objektiv“ gesehen nicht schuldig gemacht hat.
Da man wohl immer gerade an irgendetwas Schuld hat, kann das eigene Schuldgefühl mit allen möglichen Dingen verknüpft werden.
Bei manchen Taten ist es natürlich schwierig mit der Psychotherapie. Es gibt Grenzen und der Psychotherapeut darf trotz Schweigepflicht nicht immer schweigen.
Wer sich schuldig gemacht hat, bei dem meldet sich auch das Strafbedürfnis. Man möchte irgendwie den Ausgleich schaffen. Sich der Tat zu stellen, die Tat anzuerkennen, ist oft der erste Schritt hin zu einem besseren Lebensgefühl. Der Meditationslehrer Eckhart Tolle hat sich anscheinend viel mit Menschen beschäftigt, die im Gefängnis sitzen, denn er erwähnt sie immer wieder. Sein Konzept vom „Pain Body“ und dem wahren Bewusstsein kann mitunter als hilfreich erlebt werden.
Verwandte Artikel in diesem Blog:
Literatur:
Steiner, John (1990):
Pathological Organizations as Obstacles to Mourning:
The Role of Unbearable Guilt
International Journal of Psychoanalysis 1990, 71, S. 87-94
https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/2332300/
Segal, Hanna (2000):
The Mind of the Fundamentalist/Terrorist.
Not Learning from experience: Hirshima, the Gulf War and 11 September
In: Newsletter of the International Psychoanalytical Association, Vol 11, Issue 1, 2002: Seite 33-35