
„Ich kehre heim“, sagen manche Sterbende und fühlen sich geborgen. Manche rufen den Namen ihres bereits verstorbenen Ehepartners aus, andere freuen sich darauf, ihre Eltern wiederzusehen. „Es wäre für mich der reinste Horror, wenn ich sterbe und als Erstes meine Mutter sehe!“, sagt eine Patientin, die bereits als Baby und Kleinkind massive Gewalt erfuhr. „Ich habe niemanden, den ich mir vorstellen kann – daher macht mir das Sterben solche Angst.“ Was tun?
Unser tägliches Leben wird sehr von Vorstellungen und Phantasien geprägt. Auch Phantasien über das Sterben und den Tod tauchen immer wieder auf. Unsere Seele lebt dabei von Beziehungen: von der Beziehung zu uns selbst, zur Natur, zur Familie, zu den Menschen, die wir hassen und lieben.
Nie erlebte Geborgenheit
Wenn wir aufgrund von frühen Traumata jedoch Schwierigkeiten haben, uns bei einem anderen geborgen zu fühlen, dann sind auch Sterbe- und Todesphantasien oft beängstigender als bei Menschen, die überwiegend gute Erfahrungen mit ihren „Primärobjekten“ (also den Eltern und nahestehenden Menschen) gemacht haben.
Was tun also, wenn man an den Tod denkt und befürchtet, die „schrecklichen Menschen“ wiederzusehen, die einem so viel Leid angetan haben? Was tun, wenn man überhaupt befürchtet, irgendwie weiterzuleben oder wiedergeboren zu werden und denselben Horror noch einmal zu erleben?
Dann kann es hilfreich sein, seine eigene liebevolle innere Stimme weiter zu entwickeln. Im Leben begegnen uns auch nach einer schwierigen Kindheit immer wieder Menschen, bei denen wir uns wirklich gut fühlen, wenn vielleicht auch nur für Momente.
Wir kennen den warmherzigen Blick, die Mutmach-Stimme, die sagt: „Komm‘ schon, Du schaffst das“, wir kennen die Beruhigung, die kommt, wenn jemand seine Hand auf unsere legt – auch, wenn wir schwer traumatisiert sind, können wir uns an solche Momente, gute Stimmen und warmherzige Blicke erinnern. Zumindest manchmal.
Viele schwer Traumatisierte finden Geborgenheit in der Natur, aber auch in der Kultur.
Und diese guten Vorstellungen und Gefühle können wir kultivieren. Es muss nicht „die gute Mutter“ sein, die uns in der Phantasie auf der anderen Seite empfängt. Wir können uns jeden Menschen vorstellen, bei dem wir uns einmal wohlgefühlt haben. Wir können es abstrahieren: Die gute Stimme, der warmherzige Blick, das Verstehen an sich wird da irgendwo sein. Welche Form „das“ oder der andere Mensch dann auch immer haben wird.
Nicht selten ist der Psychoanalytiker (ist die Psychoanalytikerin) der Mensch, den viele Frühtraumatisierte erstmals als wirklich verstehenden und haltgebenden Anderen erleben. Viele stellen sich diesen Menschen vor, wenn es ihnen sehr schlecht geht und es beruhigt sie – manchmal vielleicht bis ins Sterben hinein.
Für jeden von uns ist da irgendwo ein anderer Mensch, der uns versteht und warmherzig anblickt. Diese Vorstellung zu pflegen, kann sehr viel Halt geben, wenn man niemanden hat, der wirklich fest als „guter Anderer“ in einem verankert ist.
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