
Wer weiß, warum wir irgendwann aufhören, im Traum zu träumen, das wir filegen könnten. Wahrscheinlich, weil wir mehr und mehr wissen, dass wir es nicht können. Als kleine Kinder haben wir Allmachtsphantasien, die uns helfen, zu leben. Sie konnten uns zum Beispiel beim Laufenlernen helfen. Allmachtsphantasien helfen dem kleinen Kind auch, Trennungen von der Mutter zu überstehen oder seine ohnmächtige Position für einige Augenblicke nicht wahrzunehmen.
Auch als Erwachsene kennen wir vielleicht noch dieses schwebende Gefühl, das wir haben, wenn wir „größenwahnsinnig“ sind. Wir haben Allmachtsphantsien, wenn wir gierig sind oder glauben, wir könnten jede Erkrankung allein durch Meditation heilen. Wir fühlen uns vielleicht allmächtig, wenn wir unsere Wünsche ans Universum schicken. Es hilft, der Ohnmacht zu entrinnen – meinen wir.
Hilflosigkeit und Allmacht sind zwei Seiten derselben Medaille
Wir fühlen uns vielleicht allmächtig, wenn wir einen netten Menschen angesprochen haben und er tatsächlich antwortet, obwohl wir nicht damit gerechnet haben. „So ein Schlappschwanz“, könnten wir dann denken, „der hat sich tatsächlich zurückgemeldet. Was ich alles bewirken kann! Und der fällt drauf rein!“ Bei den Allmachtsphantasien spielen Verachtung und Häme eine große Rolle.
Allmächtig fühlen sich auch manche „Key Note Speaker“, die ganze Mengen mit ihrer Rede begeistern können. Doch was häufig übrig bleibt, ist ein Gefühl von Leere oder Unerfülltsein. Da war zu viel Schweben, da fehlte echter Kontakt, denken wir vielleicht nach der Rede dieses „Großkotz“.
Unterscheiden
Manchmal fühlen wir uns einfach auch wohl. Wir spüren eine gute Energie in Körper und Geist, fühlen uns lebendig, tatkräftig und zuversichtlich. Wir denken auf eine Art, wir könnten alles schaffen. Und doch ist das etwas anderes, als diese merkwürdige Allmachtsphantasie, die uns so schaden kann.
Beim „gesunden Hochgefühl“ merken wir, dass es echt ist und dass wir uns nicht so leicht irritieren lassen. Beim „ungesunden“ Allmachtsgefühl hingegen spüren wir, dass es eine Art Aufgedrehtsein ist. „Hochmut kommt vor dem Fall“, könnte man hier sagen. Es ist wie das Aufgedrehtsein der Kinder, bevor „das große Heulen“ kommt.
Bei der Allmachtsphantasie fürchten wir uns vor dem Moment danach, in dem wir uns wie abgestürzt fühlen. Manche Stars haben das, wenn sie nach ihrem Auftritt ins Hotelzimmer gehen und sich einsam und leer fühlen.
Erkennen ist der wichtigste Schritt
Seine Allmachtsphantasie zu erkennen ist der wichtigste Schritt zur Reifung. So gut sie sich auch anfühlen mag – sie ist einfach sehr anstrengend. Für einen selbst und für die anderen. Allmachtsphantasien verhindern den echten Kontakt und echte Glücksgefühle.
Hör‘ auf zu zaubern! Allmachtsphantasien können uns scheinbar magische Kräfte verleihen. Doch sind sie anstrengend. Allmachtsphantasien machen blind und verletzen mitunter andere Menschen. Sie aufzugeben, ist oft ein Schritt zu einem zufriedeneren Leben, das von innen heraus zum Reichtum führt. Für Kinder sehr empfehlenswert ist hier das Buch: „Räuber Ratte“ von Axel Scheffler und Julia Donaldson (Beltz-Verlag).
Kontaktaufnahme ohne Allmachtsphantasien
Wenn ich einen netten Menschen anspreche, dann weiß ich nicht, ob er antworten wird. Und wenn er es tut, dann tut er das aus seiner Motivation heraus. Ich war der Situation ausgeliefert, ich konnte nicht wissen, wie er reagiert. Seine Reaktion ist nicht das Ergebnis meiner „Macht“. Wenn wir das feststellen, freuen wir uns, weil es einfach „Glück“ ist, dass der andere uns auch mag.
Wenn wir jedoch aus Ohnmachtsgefühlen heraus den Spieß umdrehen und uns als übermächtig erleben, dann bleiben wir unbefriedigt. Wir leben in dem Moment in einer Illusion und denken: „Der andere grüßt uns ja nur zurück, weil wir ihn dazu gezwungen haben.“
Zum Allmachtsgefühl gehört auch die Verachtung. Wir strecken dem anderen die Zunge heraus und sagen: „Nana-nana-naaaanaaaa!“
Wir mögen mithilfe des Allmachtsgefühl vielleicht viel schaffen, doch droht uns der Herzinfarkt, wenn wir uns davon leiten lassen. Manchmal verhilft uns ein Allmachtsgefühl zu einem wichtigen Schritt – und doch ist es sehr erfüllend, wenn wir zunehmend auf unsere Allmachtsgefühle verzichten können.
Vielleicht tun wir das automatisch, wenn wir älter werden und unsere Grenzen spüren. Doch mit dem Alter steigt bei vielen Menschen auch die Zufriedenheit. Das hat sicher mit dem Aufgeben der Allmacht zu tun.
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