
Psychoanalyse macht vielen Angst. Manche machen sich darüber lustig, andere halten sie für veraltet. Doch der Gedanke, dass Psychoanalyse „esoterisch“ sei, wird von Lesern und Patienten immer wieder ängstlich geäußert. Gemeint ist damit häufig eine Angst vor dem Unbewussten oder die Angst, die entsteht, wenn man das Gefühl hat, keine eigene Grenze zu haben. Bei schweren psychischen Störungen ist dieses unangenehme Gefühl der „Grenzenlosigkeit“ oft vorhanden. Daher kommt der Begriff häufig bei jenen auf, die eine Psychoanalyse machen möchten, sich aber vor ihr fürchten.
Mit „Esoterik“ ist eine Art „Geheimlehre“ gemeint. Bei Google findet man unter dem Suchwort „Esoterik“ diese Definition: „… religiöse, mystische oder philosophische Riten, Ideen und Gebräuche, die nur für Eingeweihte (geistig) zugänglich sind.“ Wikipedia schreibt, dass sich das Wort vom Griechischen „esoterikos“ ableitet, was „innerlich“, „dem inneren Bereich zugehörig“ bedeutet.
Es schwebt
Mit dem umgangssprachlichen Begriff „Esoterik“ ist oft etwas „Schwebendes“ oder „Unheimliches“ gemeint – etwas, das nicht erforscht ist oder auch nur schlecht erforscht werden kann. Oft wird der Begriff auch im Sinne von „unseriös“ und „nicht wahr“ gebraucht. Die Psychoanalyse wird auf vielen Ebenen seit jeher erforscht, allerdings sind die modernen medizinischen Forschungskriterien der Evidence Based Medicine kaum anzuwenden. Es ist immer auch die Frage, woran man bei der Psychoanalyse forscht. Eine Zunahme oder Abnahme von Zwangsgedanken oder Feindseligkeit lässt sich vielleicht erfassen. Doch die Liebe, die Bindung, die Dankbarkeit, das Gefühl, dass sich eine neue psychische Struktur entwickelt, das Gefühl, dass der Analytiker als sicherer Halt in einem entsteht wie eine gute Mutter oder ein guter Vater, sind sicher schwer zu erforschen.
Experimente kaum möglich
Die Psychoanalyse ist so hoch individuell, dass sie sich kaum verallgemeinern lässt. Es ist ähnlich wie bei einer Mutter, die mehrere Kinder hat: „Was Kind A tröstet, hilft bei Kind B gar nicht.“ Hier könnte der Gedanke an die indikationsspezifische, „auf den Patienten zugeschnittene Methode“ aufkommen. Doch es ist mehr als das. Während der Psychoanalyse-Sitzung spielt sich so vieles ab. Es geht auch um physiologische Abstimmungen zwischen Analytiker und Patient, um Affektabstimmungen (Attunement) und um die Kommunikation von Unbewusst zu Unbewusst.
Die Psychoanalyse interessiert sich auch für den Glauben der Menschen. Psychische Gesundheit und Glauben hängen eng zusammen. Wer psychotisch ist, hält sich mitunter für Gott oder von Gott verfolgt. Autistische oder schizoide Menschen sind oft völlig „ungläubig“. Der Gedanke an einen Gott oder überhaupt an etwas Unerklärliches macht ihnen große Angst. Die Betroffenen werden leicht zu „fanatischen Atheisten“. Dem gegenüber stehen sehr zwanghaft Gläubige. Gemeinsam ist ihnen eine „psychische Enge“, die durch Angst entsteht.
Auch die Elternbindung bestimmt den Glauben
Der Glaube, der entsteht, hat viel mit der ursprünglichen Bindung zu Mutter und Vater zu tun. Wer sich geborgen bei der Mutter fühlte und ein gutes Containment erlebte, wer einen Vater hatte, der zur Triangulierung zur Verfügung stand, der hat einen weiten psychischen Raum. Er kann sich vieles vorstellen, ist offen für Neues, kennt aber auch seinen eigenen Standpunkt. Wer sich sicher, geborgen und in Verbindung mit anderen Menschen fühlt, der kann mit Ungewissem besser klar kommen als jemand, der Angst hat und ohne Bindung ist. Wer in frühester Kindheit mit der Abwesenheit der Mutter konfrontiert war, wer als Baby isoliert im Krankenhaus lag oder Gewalt von Mutter und/oder Vater erlebte, der fühlt sich in engen Beziehungen oft bedroht. Ideen von „Gott“ oder von Unerklärlichem machen unglaublich Angst.
Manche Menschen entwickeln sich zu hoch seriösen Wissenschaftlern, die vieles erklären können, aber auch mit dem Unerklärlichen zurechtkommen, weil sie das Gefühl haben, dass es sich letzten Endes doch erklären lässt. Darf das Unerklärliche bleiben?
Offen werden für das Unerklärliche
Manche Menschen erleben in der Psychoanalyse das erste Mal in ihrem Leben eine sichere Bindung. Sie fühlen sich das erste Mal sicher und so kann es ihnen möglich werden, sich auch wieder dem Unerklärlichen zu öffnen. Manche können im „gesünderen“ Zustand nach einer Psychoanalyse in einer gesünderen Weise „gläubig“ sein als vorher. Manche werden durch eine Psychoanalyse gläubig(er), andere ungläubig(er). Der Glaube kann sich durch eine Psychoanalyse verändern – er kann weniger starr, toleranter, offener werden.
Telepathie und Co.
In der Psychoanalyse erlebt man mitunter unerklärliche Phänomene, die zum Beispiel an „Gedankenübertragung“ erinnern. Der Umgang mit Träumen, Ahnungen und Intuition ist eine tägliche Herausforderung für den Analytiker. Werden Träume und Gefühle über die Zeit jedoch verstanden, kommt es zu einem Gefühl von Sicherheit und Erleichterung. Zunächst aber tappt man im Dunkeln und der Analytiker kann nur langsam Hypothesen dazu bilden, wie sich die Gefühle, Ängste, Erlebnisse und Interaktionen erklären lassen. Dabei geht es häufig auch um existenzielle Fragen.
Die Psychoanalyse kümmert sich um die Psyche und diese ist nun einmal schwer begreifbar, messbar und voller Rätsel. Psychiater wollen dieser Unbegreiflichkeit durch Kategorisierungen und Methodenbildungen entgegenwirken. Psychoanalytiker arbeiten weniger mit Kategorisierungen, sondern nutzen ihr Gefühl und ihre Theorien als Instrument. Psychoanalyse wird erst begreifbar, wenn man sich selbst einer Behandlung oder Lehranalyse unterzogen hat, also wenn man erlebt hat, was da genau passiert, was wiederum an den Begriff „Geheimlehre“ denken lässt. Die Psychoanalyse ist jedoch auch neugierig, entwickungsfreudig und sucht die Wahrheit. Daher ist sie immer ein wissenschaftliches Erforschen.
Verwandte Artikel in diesem Blog:
- Faith bei Bion
- Was wirkt denn nun in der Psychoanalyse?
- Buchtipp: Die Geister, die mich riefen
- Psychoanalyse und Telepathie
- Im Glauben/in der Religion psychische Gesundheit finden?
- Angst vor der Unendlichkeit (Apeirophobie)
- Buchtipp: Glaube, Fantasie und psychische Realtität (Ronald Britton)
- Was sagte Freud zur Religion?
Buchtipp zur Erklärung des Begriffs „esoterisch“:

Renko D. Geffarth:
Religion Und Arkane Hierarchie:
Der Orden der Gold- und Rosenkreuzer als geheime Kirche im 18. Jahrhundert
Verlag BRILL, 2007
www.brill.com/religion-und-arkane-hierarchie
Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 16.9.2017
Aktualisiert am 13.4.2020
Schreibe einen Kommentar