
In der Psychoanalyse-Ausbildung (Beispiel DPV, Deutsche Psychoanalytische Vereinigung) geht man nach jeder vierten Sitzung zur Supervision. Die Supervisoren sitzen oft weit weg, auf der Autobahn ist Stau und zumindest umwelttechnisch wäre die Online-Supervision sinnvoller. Spätestens seit Corona ist die Online-Supervision für manche sogar zum „Muss“ geworden. Doch wie fühlt es sich an, wenn man auf die „Präsenz-Supervision“ verzichtet/verzichten muss und stattdessen die Online-Supervision nutzt?
Man analysiere den eigenen Energiehaushalt: Eine Fahrt zum Supervisor kostet viel Energie. Der Körper ist jetzt schon nahe an einer Grippe. Eine Online-Supervision würde weniger auslaugen, meint man. Vielleicht ist es manchmal auch so. Doch oft gewinnt man durch die persönliche Supervision im „echten“ sozialen Kontakt mehr Energie als man dachte, während die Supervision per Internet durch den Kontaktmangel irgendwie erschöpft.
Man möchte näher an den anderen heran, aber die Mattscheibe ist dazwischen. Gerüche, Atem- und Herzfrequenzen, Mini-Bewegungen und Ganzkörperbewegungen des anderen können bei der Online-Supervision nicht oder nur teilweise aufgeschnappt werden.
Pflicht versus echte Unterstützung
Manchmal empfindet man die Supervision als Last. Sie erscheint vielleicht manchmal mehr als eine Pflicht, der nachgegangen werden muss, denn als wirklicher Nutzen. Hier kommt man besonders rasch in die Versuchung, bei Stress auf die Online-Supervision zurückzugreifen. Daher ist es wichtig, schon möglichst früh mit den Supervisoren ins Gespräch zu kommen, mit denen man wirklich zusammenarbeiten möchte, auch, wenn noch kein Psychoanalyse-Patient in Sicht ist.
Die körperliche Nähe ist wichtig
Wenn das „Dreiergespann“ (Patient, Ausbildungskandidat und Supervisor) dann steht und es gut passt, merkt man schnell: Eine „echte“ Supervision, in der man sich gegenüber sitzt, kann durch eine Online-Supervision kaum ersetzt werden. Analysand und Analytiker geben sich gegenseitig viele körperliche Botschaften. Der Rückhalt, den man beim Supervisor erfährt, tut einem selbst und auch der Analyse gut. Das echte Gegenübersitzen gibt Energie und lässt Dinge deutlich werden, die in der Online-Supervision untergehen würden.
Zwei Menschen in einem Raum
Der Wissenschaftler Pavel Goldstein (Uni Haifa, Israel) und Kollegen haben 2017 in einer Studie untersucht, wie Berührung zwischen Partnern Schmerz lindert und mit einem Abgleich der physiologischen Vorgänge wie Atemfrequenz und Herzschlag verbunden ist. Erstaunlicherweise zeigen sich manche physiologischen Effekte sogar, wenn zwei empathische Menschen nur in einem Raum zusammen anwesend sind. In der Psychoanalyse arbeitet man mit dem Unbewussten und vegetative Vorgänge spielen hier eine wesentliche Rolle.
Ich habe das Gefühl, dass man manches nur in die Supervision „mitbringen“ kann, wenn man sich wirklich gegenüber sitzt. Ebenso erhält man eine Kraft und Energie, die sich online in dieser Form nicht vermitteln lässt. Auf der langen Rückfahrt nach einer gelungenen Supervision denke ich oft, dass die Menschen heute vielleicht einfach deswegen so erschöpft sind, weil sie ständig eine Matt-Scheibe zwischen sich haben.
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Lesetipp:
Pavel Goldstein et al. (2017, Universität Haifa, Israel):
The role of touch in regulating inter-partner physiological coupling during empathy for pain
Scientific Reports 7, Article number: 3252 (2017)
doi:10.1038/s41598-017-03627-7
www.nature.com/articles/s41598-017-03627-7
Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 16.9.2017
Aktualisiert am 26.12.2020
Aktualisiert am 27.2.2020
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