
In unserer Seele spielen sich immer wieder ähnliche Vorgänge ab. Ebenso in der Psychoanalyse. Der britische Psychoanalytiker Wilfred Ruprecht Bion (1897-1979) ist bekannt dafür, dass er einzelne seelische Vorgänge und Vorgänge in der Psychoanalyse auf kurze Formeln gebracht hat. Diese Elemente sind: (Text & Bild: © Dunja Voos)
- Element „Container-Contained“, ♂ und ♀ (= Symbole für „männlich“ und „weiblich“): Diese Symbole stehen für das Container-Contained-System. Es gibt psychische Anteile, die zu halten sind (z.B. unaussprechliche Angst) und einen Raum in der Psyche, der diese Anteile hält, also einen „Container“. So ist z.B. die Mutter der „Container“ für die Angst des Kindes. Die Angst des Kindes ist das, was von der Mutter gehalten = „contained“ wird. Während die Mutter die Angst des Kindes hält, „verdaut“ sie sie. Sie versteht die Angst des Kindes und beruhigt es: „Ah, ich verstehe, Du hast Angst, sei ganz beruhigt, es ist doch nur ein Gewitter, ich bin bei Dir.“ Später kann das Kind selbst seine Gefühle halten.
Das Kind hat das Container-Contained-System, das vorher zwischen ihm und seiner Mutter stattfand, in sich selbst eingebaut. Es hat dann einen eigenen, inneren Container. Selbstgespräche und Selbstberuhigung zeigen, dass wir selbst so ein Container-Contained-System in uns haben.
- Das System „P-S ↔ D“ ist ein weiteres Element nach Bion. Die Buchstaben stehen für „paranoid-schizoide Position“ und „depressive Position“. Eine vereinfachte Erklärung: mit P-S und D werden zwei psychische Zustände bezeichnet: Einmal erleben wir uns als fast ungetrennt vom anderen. Wenn wir z.B. wütend sind, dann könnten wir auf den anderen einschlagen, wir halten ihn für vollkommen schuldig für unser Befinden und wir fühlen uns von ihm verfolgt. Aber wir sind uns auch nicht sicher, wer von uns beiden eigentlich sauer ist: „Du bist doch laut und wütend!“ – „Nein, Du bist laut und wütend!“, so kann das Gespräch zwischen den Streitpartnern aussehen. Das kann auch mit anderen Gefühlen passieren, z.B. wenn wir uns in Liebe vollkommen mit dem anderen verschmolzen fühlen.
Daneben gibt es die „depressive Position“, in der wir mehr Abstand vom anderen haben. Das (Selbst-)Gespräch könnte so aussehen: „Es tut mir leid, ich wollte Dir nicht weh tun.“ In der depressiven Position erleben wir uns als getrennter voneinander.
Schuldgefühle und Reue oder zärtliche Gefühle können Zeichen der „depressiven Position“ sein. Wir fühlen uns getrennt vom anderen, werden dadurch etwas „traurig“, oder demütig, etwas realistischer, aber auch beweglicher. Wir können dann wieder unbeschwerter mit ihm und anderen zusammen leben. Wir sehen ihn und uns selbst klarer.
Die beiden Positionen können aufeinander folgen oder aber auch nebeneinander bestehen. So kann ich nach „verschmolzener Wut“ ein paar Tage später wieder klarer sehen und mich mit dem anderen versöhnen (aus der paranoid-schizoiden Depression wurde die depressive Position). Ich kann aber auch beides fühlen: Verschmolzenheit und Getrenntheit: dann bestehen die Positionen P-S und D nebeneinander.
- Weitere Elemente der Psychoanalyse nach Bion sind: „L“ = „Liebe“, „H“ = „Hass“ und „K“ = „Knowledge“, womit so etwas wie eine „Wiss-Gier“, eine Neugier gemeint ist. Daneben gibt es „R“ = „Reason“ (Verstand) und „I“ = „Idea“ (repräsentiert die Gedanken). Mit R und I können die Leidenschaften von L, H und K gezähmt werden.
In einer psychoanalytischen Sitzung kommen diese Elemente noch hinzu:
- Sense = die Sinneswahrnehmung, Aufmerksamkeit und Wahrnehmung
- Myth = der „Mythos“, der in der Geschichte des Patienten enthalten ist, also die unbewusste Phantasie, die dahinter steckt, oder die griechische Sage/die Bibelgeschichte, die wie eine Schablone über die Patientengeschichte gelegt werden kann. Aus psychoanalytischer Sicht spiegeln die Sagen, die Bibel, die Märchen und andere alte Texte die unbewussten Phantasien wider.
- Passion = Leidenschaft. Hier durchleidet der Analytiker in gewisser Weise das, was der Patient durchleidet. Die „Wahrheit“, das „Unfassbare“ wird von dem Patienten und dem Analytiker gespürt und muss noch in etwas Begreifliches umgewandelt werden. Dieses „Unfassbare“ bezeichnete Bion mit „O“. Zuerst ist „O“ unpersönlich, es ist vage spürbar, dann wird es in der Psychoanalyse in eine persönliche Wahrheit, in ein „personal O“ verwandelt (transformiert). Sehr einfaches Beispiel (in Wirklichkeit sind die Dinge oft kaum fassbar): Das kleine Kind spürt, wie sein Darm reagiert – es bekommt Bauchweh. Irgendwas Unbestimmtes liegt in der Luft. Wenn die Mutter den Erzählungen des Kindes folgt, wenn sie sich einfühlen kann, wird sie erkennen: Das Bauchweh kommt von dem Druck, der dadurch ausgelöst wird, dass das Kind am Wochenende zur Oma gehen soll. Das Kind hat Trennungsangst. Aus dem unbestimmten Bauchweh wird etwas Konkretes, das sich verstehen lässt. Auch „O“ ist ein Element der Psychoanalyse.
Später formulierte Bion noch spezielle Techniken der Psychoanalyse, die ebenfalls als „Elemente der Psychoanalyse“ bezeichnet werden. Dazu gehören: Das bewusste Weglassen von „Memory, Desire and Underständig“: Damit ist gemeint, dass der Analytiker jede Stunde wie ganz neu erleben will. Erinnerungen an bereits Gesagtes oder Erwartungen an den Patienten sollen weitgehend ausgeschaltet sein. Das ermöglicht es dem Analytiker, einen träumerischen Zustand (Reverie) einzunehmen, dem Patienten so entspannt zu lauschen und mit ihm in Resonanz zu gehen.
Quelle unter anderem: James Grotstein: A Beam of Intense Darkness – Wilfred Bion’s Legacy to Psychoanalysis. Karnac-Books 2007: „Psychoanalytic elements“, S. 237
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Dank an www.mediaevent.de für die HTML-Sonderzeichen.
Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 27.11.2016
Aktualiseirt am 23.10.2020
Dunja Voos meint
Vielen Dank, das freut mich!
Dr.Rolf Tiedemann meint
Gut u verständlich
Weiter so
Ihr Rolf Tiedemann München