
„Ich nehm‘ Dir das Handy weg – und das iPad gleich mit. Bis Montag.“, sagt die Mutter*. Kraftlos schaut sie ihr Kind an. Sie ist wütend und verzweifelt, weiß keine andere Lösung. Sie sorgt sich, dass ihr Kind abhängig werden könnte von diesem ganzen Zeug. Doch die Angst führt dazu, dass sie ihr Kind behandelt, wie sie selbst behandelt wurde: bei genauerem Hinsehen respektlos. Gleichzeitig erwartet sie, dass ihr Kind Respekt vor ihr hat. Und sieht in diesem Moment nicht, dass man keinen Respekt haben kann, wenn man selbst nicht mit Respekt behandelt wird. (Text & Bild: Dunja Voos)
Das Prinzip ist dasselbe: Ohnmacht
Heute gibt es hierzulande keine Schläge mehr (offiziell). Aber das Prinzip ist dasselbe geblieben: Die Mutter demonstriert dem Kind ihre Macht, weil sie sich ohnmächtig fühlt. Sie tut es nicht aus bösem Willen, sondern aus Hilflosigkeit heraus. Und sie kennt es aus ihrer eigenen Kindheit: Fernsehverbot, Hausarrest und fehlendes Vertrauen in ihre Fähigkeiten.
Anbieten
„Ja, aber das Kind ist doch kein kleiner Erwachsener. Es spielt ja tatsächlich den ganzen Nachmittag mit dem iPad, wenn man es ihm nicht wegnimmt.“ Das ist ein weit verbreiteter Irrglaube. Kinder wollen lernen und mit anderen spielen; sie sind neugierig, wollen ein Instrument lernen, sich bewegen, Beziehungen mit anderen Menschen eingehen. Wer aber selbst mit Eltern großgeworden ist, die müde waren und nicht an sie glaubten, erlebt dasselbe wieder mit dem eigenen Kind: Verzweiflung und Hilflosigkeit.
Das Handy wegzunehmen scheint die einzige Lösung zu sein in einer auswegslosen Situation. Dabei wäre es besser, man fügte etwas hinzu, als nähme man etwas weg. Was macht denn das Kind mit dem Handy? Es stellt Kontakte her. Und es könnte uns ganz wunderbare Dinge zeigen, über die wir staunten, wenn wir einmal schauten.
Viele Familien können sich keinen erfüllenden Musik- oder Sportunterricht für ihr Kind leisten, was tragisch ist. Die Eltern müssen so viel arbeiten, dass sie selbst keine Kraft mehr haben, ihrem Kind mit Interesse zu begegnen.
„Was machst Du da?“, ist oft eher eine vorwurfsvolle als eine neugierige Frage. Doch wenn man sich einmal einlässt und sich für die Welt des Kindes interessiert, wird man erstaunt sein, wieviel da zurückkommt. Handy wegnehmen ist einfach. Kraft kostet es hingegen, dem Kind etwas anderes anzubieten. „Der will ja nichts anderes“, heißt es dann. Denkt man. Aber es ist oft so anders.
„Ich nehme dir den Laptop weg!“
Man stelle sich einfach vor, jemand käme, um uns zu behandeln, wie wir die Kinder behandeln: „Ich nehme Dir den Laptop weg – Du hängst sonst zu viel davor und wirst dick.“ – „Jetzt aber! … Eins, zwei …? Freundchen/Frollein!“ Welcher Erwachsene würde sich das nicht verbitten? Kinder verbitten sich das auch. Aber die Erwachsenen hören es nicht.
Kinder wollen behandelt werden wie Erwachsene. Es geht auch und funktioniert wunderbar: Man kann Kinder so respektvoll behandeln wie Erwachsene. Man wird erstaunt sein, was da alles Wunderbares zurückkommt. Man muss im Hinterkopf behalten, dass es Kinder sind mit hochinteressanten Welten. Darum agieren sie anders als Erwachsene. Aber Respekt verdienen sie ebenso.
*gemeint ist immer auch der Vater bzw. die engste Bezugsperson
Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 31.5.2015
Aktualisiert am 16.1.2020
Schreibe einen Kommentar