
An den Punkten, an denen man selbst noch feststeckt, kann man seinen Patienten nur schwer weiterhelfen. Das Kernstück der Ausbildung zum Psychoanalytiker ist daher die Lehranalyse. Bei der Deutschen Psychoanalytischen Vereinigung (DPV) legt man sich als Ausbildungsteilnehmer/-kandidat vier Mal pro Woche bei einem Lehranalytiker auf die Couch. Hier erfährt der angehende Analytiker am eigenen Leib, wie es ist, auf der Couch zu liegen und Unaushaltbares zu fühlen. Er spürt, wie es ist, gehalten zu werden und die Dinge mühsam durchzuarbeiten. So ist er für später gerüstet, wenn er selbst Patienten behandelt, die mit unaushaltbaren Zuständen bei ihm auf der Couch liegen. (Text & Bild: © Dunja Voos)
3-mal pro Woche reicht für den staatlichen Abschluss „Psychoanalyse“
Wenn man lediglich nach den Standards der Ärztekammer (Weiterbildungsordnung) oder Psychotherapeutenkammer Psychoanalytiker werden möchte (= nach Psychothearpeutengesetz, PTG), reicht eine dreistündige Psychoanalyse aus. Die Dreistündigkeit reicht aus, um als Arzt den Zusatztitel „Psychoanalyse“ zu erwerben.
„Vor allem müssen wir gar zu gut und „bis zum Grund“ analysiert sein, alle unsere unliebsamen äußeren und inneren Charakterzüge kennen, damit wir so ziemlich auf alles gefaßt sind, was an verstecktem Haß und Geringschätzung in den Assoziationen der Patienten enthalten ist.“
Sandor Ferenczi (1933): Sprachverwirrung zwischen den Erwachsenen und dem Kind. Internationale Zeitschrift für Psychoanalyse, 19 (1-2): 5-15
Wer eine dreistündige Lehranalyse an einem DPV-Institut macht, ist nach der Ausbildung jedoch kein „DPV-Psychoanalytiker“. Man hat dann „nur“ den Zusatztitel „Psychoanalyse“ erlangt und kann affiliertes, aber kein vollwertiges Mitglied der DPV sein.
Die Vierstündigkeit ist jedoch sehr umstritten – ist sie wirklich sinnvoll? Das wird wahrscheinlich jeder für sich selbst in der Lehranalyse herausfinden. Ich selbst habe sowohl Erfahrung mit dreistündigen als auch mit vierstündigen Analysen und ich habe so gute Erfahrungen mit der Vierstündigkeit gemacht, dass ich sie nicht missen möchte.
Ist die Vierstündigkeit zeitgemäß? „Die Vierstündigkeit ist nicht mehr zeitgemäß – wer hat denn heute noch die Muße und das Geld, viermal pro Woche zur Lehranalyse zu gehen?“ Diese Frage höre ich oft. Doch es ist erstaunlich, wieviel auf einmal denkbar wird, wenn man das Totschlagargument „Heutzutage“ weglässt. Auch heute noch brauchen die Menschen Beziehungen und auch heute noch ist es möglich, die Zeit für enge Beziehungen aufzubringen.
Wird eine vierstündige Psychoanalyse nicht langweilig?
Manchmal wird Psychoanalyse vielleicht langweilig. Doch auch die Langeweile lässt sich verstehen.
Die Vorteile der Vierstündigkeit
Wer eine Psychoanalyse macht, weiß, wie quälend es sein kann, wenn man ein schwieriges Thema aufgebracht, noch keine Antwort gefunden hat und dann über das Wochenende auf die nächste Stunde warten muss.
In einer vierstündigen Lehranalyse ist es leichter, schwierige Themen aufzubringen, wenn man weiß: Morgen sehen wir uns wieder. Am Ende der Stunde muss man nicht immer auf den Punkt kommen und Spannungen lassen sich rascher wieder abbauen, wenn man sich am nächsten Tag wiedersieht.
Die vierstündige Psychoanalyse fühlt sich für mich an wie ein „Mantel“, während die dreistündige Analyse einem „löchrigen Mantel“ ähnelt.
Die vierstündige Lehranalyse erinnert mich an einen Fluss: Veränderungen kommen weniger holperig daher und schwierige Situationen lassen sich leichter meistern. Veränderungen stellen sich ein und es ist nicht immer so leicht zu erfassen, was genau diese Veränderungen bewirkt hat. Das ist manchmal beängstigend, aber oft auch beruhigend.
„Psychoanalyse ist Partnerersatz“
„Wenn du zur Lehranalyse gehst, brauchst du doch keinen Partner mehr. Du ruhst dich auf der Beziehung zum Psychoanalytiker aus. Die Psychoanalyse wird zum Partnerersatz.“ Wie ist es mit der Psychoanalyse und der Partnerschaft?
Wer ohne Partner lebt, für den ist die Psychoanalyse wohl gleichzeitig eine Be- als auch eine Entlastung. Wenn es gut geht, fühlt man sich gehalten und weniger allein. Doch die Lehranalyse – oder die Psychoanalyse im Allgemeinen – ist eine spezielle Situation. Gemeinsam erforscht man das Unbewusste, lernt viele Probleme zu verstehen und bekommt eine Vorstellung davon, wie man Beziehungen befriedigend gestalten kann. Doch der Psychoanalytiker kann einen Partner nicht ersetzen – das spürt man als Analysand ganz genau.
Die Situation lässt sich vielleicht vergleichen mit der Situation von Kindergärtnerinnen, die keine eigenen Kinder bekommen konnten. Zu „ihren“ Kindern baut die Erzieherin eine wertvolle Beziehung auf, doch diese Beziehung ist eine andere als die Beziehung zum eigenen Kind. Sie kann ebenso erfüllend sein, aber sie ist eben etwas anderes. Es kommt gelegentlich der Schmerz der Unvollständigkeit oder der Nicht-Erfüllung auf. Ähnlich ist es wohl mit der Psychoanalyse: Die Sehnsucht nach einer „echten“ Beziehung wird durch die Beziehung zum Analytiker nicht geschmälert – im Gegenteil: Oft wird die Sehnsucht größer und die Suche nach dem Partner intensiver.
Non-Reporting System – der Lehranalytiker hält sich raus
Bei der DPV ist der eigene Lehranalytiker tatsächlich nur für die eigene Analyse zuständig. Aus allen anderen Fragen der Ausbildung hält er sich raus. Er berichtet niemandem über die Analyse, sodass man als Ausbildungskandidat ganz frei erzählen kann.
Dennoch gehört der Analytiker ja zum Institut und zur Vereinigung, sodass – vielleicht anders als bei einer Patientenanalyse – man die eigene Übertragung auf den Analytiker ausweitet. Der Analytiker ist „Teil der Familie“, sodass Probleme, die man als Kind mit der eigenen Familie hatte, im Institut wieder auftauchen und in der Lehranalyse besprochen werden können. So greift Eins ins Andere, was sehr belastend, aber auch sehr entwicklungsfördernd und schließlich befreiend sein kann.
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Dieser Beitrag erschien erstmals am 4.10.2013
Aktualisiert am 1.6.2020
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