
Das „Ich“ ist sehr schwer zu definieren. Es gilt als eine Einheit der Persönlichkeit. Das Ich denkt, plant, fühlt und nimmt die Realität wahr. Es ist vorrangig bewusst, enthält aber auch unbewusste Anteile. Die steuernden Funktionen werden Ich-Funktionen genannt. Mithilfe des „Ichs“ regulieren wir unsere innere Gefühlswelt und die Beziehung zu anderen Menschen. (Bild: Ich habe versucht, Sigmund Freuds „Strukturverhältnisse der seelischen Persönlichkeit“ nachzumalen. Quelle: „Neue Folge der Vorlesungen“, 1933. Im Original zu sehen z.B. auf Wikipedia).
Sigmund Freud schrieb in „Das Ich und das Es“ (1923) (http://www.psychanalyse.lu/Freud/FreudIchEs.pdf ): „Das Ich ist zuallererst ein körperliches.“ Jeder von uns kennt das, wenn wir krank sind – schon eine Erkältung oder ein Zahnschmerz macht uns zu einem anderen Menschen und schränkt unseren Blick auf die Welt ein. Wir sind dann auf uns selbst zurückgeworfen.
Das Ich als Vermittler
Weiterhin hat Sigmund Freud das Modell von Es, Ich und Über-Ich entworfen. Das Ich vermittelt dabei zwischen „Es“ und „Über-Ich“. Ein unreifes Ich macht sich durch eine Ich-Schwäche oder einen Ich-Defekt bemerkbar. Wer unter einer Ich-Schwäche leidet, der braucht oft eine andere Person als so genanntes Hilfs-Ich.
Kleinkinder entdecken ihr Ich
Kleinkinder sagen gewöhnlich erst ihren Namen, wenn sie von sich selbst sprechen. „Anna holt den Eimer“, sagt die knapp zweijährige Anna, wenn sie sich selbst meint. Es ist, als würde sie sich selbst von außen beobachten. „Ich hole den Eimer“, sagt sie mit zweieinhalb Jahren, wenn sie ein „abgeschlossener Mensch“ ist, also z.B. auch trocken geworden ist oder dabei ist, trocken zu werden. Es ist auch das Alter, in dem sie eine innere Objektkonstanz von den Eltern entwickelt hat, das heißt, sie kann sich dann z.B. die Mutter weiterhin vorstellen, auch wenn sie nicht da ist.
Mit der inneren Objektwelt (also den Bildern von anderen Menschen in sich selbst) entwickelt sich auch das Bild von sich selbst sozusagen als eine Person, zu der man eine Beziehung hat: „Ich wasche mich“ = Ich steuere mich und wasche meinen Körper. Ich beobachte mich von innen her selbst bei dem, was ich tue. Es ist eine großer Schritt, wenn ein Kind das erste Mal „Ich“ sagt.
„Ich ist ein Widerstand“, hörte ich den Philosophen Alan Watts in einem seiner Youtube-Videos sagen. Wenn wir im Flow sind, bemerken wir unser Ich gar nicht. Wenn wir träumen, haben wir wie ein widerstandsloses Ich (siehe auch Paul Federn zu den „Ich-Grenzen“ im Schlaf). Wenn das Kind das erste Mal „Ich“ sagt, ist es im Alter des Widerstands: Es lernt in dieser Phase auch, seinen Stuhl bewusst zu halten und „Nein“ zu sagen.
Die Begriffe „Ich“ und „Selbst“ hängen eng zusammen.
Das Ich ist eng an die Realität gebunden. Das Ich will „normal“ sein, also zur Realität passen. Wenn das Ich von außen abgeschnitten wird, kann eine Psychose entstehen. Wenn wir schlafen, trennt sich das Ich von der äußeren Realität ab und wir träumen – der Traum ist eine Art „Psychose“.
„Wir haben es am Traum gesehen; wenn sich das Ich von der Realität der Aussenwelt ablöst, verfallt es unter dem Einfluss der Innenwelt in die Psychose.“ Sigmund Freud: Die psychoanalytische Technik, Gesammelte Werke (GW), Band 17, S. 98
„Unser heutiges Ichgefühl ist also nur ein eingeschrumpfter Rest eines weitumfassenderen, ja — eines allumfassenden Gefühls, welches einer innigeren Verbundenheit des Ichs mit der Umwelt entsprach.“
Sigmund Freud: Das Unbehagen in der Kultur (Gesammelte Werke, Band 14, S. 425)
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Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 28.7.2007
Aktualisiert am 12.8.2021
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