
Ein 7-jähriges Mädchen erlebt zu Hause Missbrauch, doch niemand weiß davon. In der Grundschul-Klasse wird es gemobbt. Eine Anführerin gründet einen „Anti-(NameDesMädchens)-Club“ und animiert die anderen, sich mit ihr gegen das Mädchen zu verbünden. Eine grausame Geschichte, kürzlich gehört im Radio. Was da passiert, ist rätselhaft und kann doch auf verschiedenen Ebenen verstanden werden.
Wir vermeiden oder verachten mitunter die Menschen, die Krankheiten oder Schicksale erlitten haben, vor denen wir uns selbst fürchten. Wenn wir diesen Menschen begegnen, können wir spüren, wie es sich anfühlen muss, etwas bestimmtes zu erleiden. Wir stellen uns vor oder spüren, wie ohnmächtig sich der Betroffene vielleicht fühlt und wir sind froh, dass es uns selbst nicht so geht. Der andere ist in unserer Phantasie „das Opfer“ und wir versuchen, uns „fein raus“ zu halten. Doch die Angst, es könnte uns auch passieren, schwingt immer mit, wenn wir demjenigen begegnen.
Blindes Handeln
So reflektiert können Grundschulkinder natürlich nicht denken und doch herrschen dort mitunter dieselben psychischen Prinzipien, die zumeist unbewusst bleiben. Das Mädchen „hat etwas an sich“. Es ist etwas „nicht richtig“. Es hat etwas mit Moral zu tun. Es löst Angst aus und „es“ ist verachtenswert. Es entsteht aus vielen Bildern heraus vielleicht die Phantasie, das Mädchen könnte „ein Opfer“ sein. Es würde sich furchtbar anfühlen, wäre man in derselben Position wie dieses Mädchen. Und dann scheint es da Erwachsene zu geben, die das Mädchen – vor was auch immer – nicht schützen. Und Erwachsene, die „Dreckiges“ mit ihm machen. Solche Erwachsenen kann man nur verachten. Gegen das Rätselhafte wird die Abwehr hochgefahren.
Spiegelbilder
Wenn man nun diese psychischen Vorgänge transportiert auf die Mobbing-Gruppe, dann lässt sich vieles erkennen. Es geht um Ausschluss, Macht-und-Ohnmachts-Gefälle, Angst, Verachtung, Verhöhnung, Abgrenzung, Verletzung, Ekel, Moral und vieles mehr. Das Unbewusste möchte inszenieren, wofür es keine Worte findet. Die „Anführerin“ der Gruppe fühlt sich vielleicht besonders „bedroht“ von dem „Opfer-Mädchen“, weil es etwas spiegelt, das gerade ihr besonders Angst macht. Täter und Opfer können sich in ihren Problemen und Ängsten manchmal spiegeln. Die Mobbing-Gruppe zeigt auf grausame Art, dass da „etwas nicht stimmt“.
Manche erwachsene Mobbing-Opfer werden in größeren Betrieben immer wieder in andere Abteilungen versetzt. Und erleben mitunter nach kurzer Zeit wieder dasselbe. Auch die ganz anderen Kollegen haben etwas gewittert und verhalten sich ganz ähnlich wie die alte Mobbing-Gruppe – mal mehr mal weniger willentlich oder bewusst.
Das Grausame kommt zum Vorschein
Der Mensch ist grausam. Vor allem dann, wenn Ängste und Bedrängnisse groß werden und sich Rätselhaftes auftut, das sich nicht benennen und nicht fassen lässt. Bei aller Grausamkeit und Perversion ist es bei der Aufklärung der Fälle jedoch auch wichtig, zu verstehen, was die Mobbing-Gruppe dazu gebracht hat, sich so zu verhalten. Manche geraten in einen Strom und handeln mit, ohne es wirklich zu wollen. Immer wieder ist da Angst im Spiel, besonders die Angst vor Ausgrenzung und Ungewissheit.
Wenn wir Mobbing-Situationen ganzheitlich betrachten, können wir weiterkommen, als wenn wir einseitig im Opfer „das Gute, Schützenswerte“ und in den Mobbenden „das Böse, zu bestrafende“ sehen.
Wir sollten die unbewusste Intelligenz der Mobbing-Gruppe mit berücksichtigen.
In dem Fall des Grundschulmädchens wurde etwas Grausames offensichtlich. Die Mobber haben nicht „einfach so“ gemobbt. Etwas Verbotenes, Schreckliches wurde sichtbar. Diesem roten Faden zu folgen ist emotional oft schwierig auszuhalten, aber sehr oft sehr lohnenswert. Denn wenn die Mobber die Chance bekommen, sich am Ende selbst besser zu verstehen, ist das die beste Prävention gegen neue Taten.
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