„Aber eben hast du doch noch gesagt …“ – Kinder leichter verstehen

ebenwolltestdu

„Gerade wolltest du noch Roller fahren! Ich hol‘ dir jetzt nicht dein Fahrrad raus! Du musst schon wissen, was du willst!“, sagt die Mutter, die gerade ihr Fahrrad aus der Garage zieht. Der „Eben-wolltest-du-noch-Satz“ ist einer der Sätze, der am häufigsten von Eltern zu hören ist. Die Eltern sind verärgert, schütteln den Kopf, wollen dem Kind klarmachen, dass es so nicht geht. Dabei spricht das Kind nur aus, was in ihm vorgeht und was wir auch als Erwachsene nur allzu gut kennen: „Irgendwie liebe ich ihn, aber ich hasse ihn auch“, „Ich will ja den neuen Job, aber beim alten weiß ich, was ich habe. Meine Wünsche wechseln stündlich.“ (Text & Bild: © Dunja Voos)

Hin- und Hergerissen zu sein ist etwas völlig Menschliches. Das Seelenleben ist voller Konflikte (siehe Leon Wurmser: „Der Konflikt und die Freiheit, 2013, Youtube). Wir sind so oft ambivalent.

Wir können verschiedene Gefühle gleichzeitig haben. Aber oft sind wir uns dessen nicht bewusst, weil wir den Wunsch, der uns stört oder das Gefühl, das uns irritiert, einfach wegschieben. Kleine Kinder tun das noch nicht in diesem Ausmaß. Sie lassen uns Erwachsene sehen, wie schnell die Vorgänge in der Psyche geschehen. Das Kind, das gerade noch Roller fahren wollte, ist natürlich fasziniert vom Fahrrad der Mutter, das es erst jetzt zu Gesicht bekommt. Es will wie die Mutter sein! Es sind neue Aspekte zu der Frage „Möchtest du Roller oder Fahrrad fahren?“ hinzugekommen.

Wir kennen es vielleicht aus dem Restaurant: Sobald der Nachbar sein Essen serviert bekommt, wünschten wir uns, wir hätten dasselbe Essen bestellt.

Konkretistisches Denken

Kinder denken noch sehr konkretistisch. Sie können noch nicht so „abgehoben“, so abstrakt und „geistig“ denken wie wir Erwachsenen. Wenn es das Wort „Kreislaufstörungen“ hört, denkt es, da hat jemand Schwierigkeiten, im Kreis zu laufen. Wenn wir das Kind fragen, ob es heute Abend lieber Feuerwehrmann Sam gucken oder lieber noch mit dem Nachbarskind spielen möchte, dann kann es das fast nur entscheiden, wenn es beide Versionen einmal konkret angetestet hat.

Sich selbst und das Kind beobachten

Mit ein wenig Abstand können wir gnädiger mit dem Kind sein. Wenn wir einmal an einem Tag beobachten, wie oft wir hin- und hergerissen sind, werden wir erstaunt sein. Nicht nur im Traum gibt es gegensätzliche Wünsche und Regungen – auch im Tagesleben kommt es vor. Wir merken es nur allzu oft nicht. Das Kind wechselt seine Meinung so schnell, weil es eben noch so vieles nicht kennt oder vergisst.

Was tun?

Anstatt das Kind zu kritisieren oder mit ihm zu diskutieren, könnten wir auch kurz überlegen. Die Mutter im Beispiel könnte sagen: „Ja, das verstehe ich. Jetzt, wo du mein Fahrrad siehst, möchtest du deines auch haben. Du möchtest dasselbe tun wie ich.“ Viele Eltern haben die Sorge, sie verziehen ihr Kind, wenn sie ihm nachgeben. Häufig gewinnt man Zeit und Kraft, wenn man auf den Meinungswechsel des Kindes verstehend eingeht. Das Kind, das ernstgenommen wird, ist dankbar – egal, ob der Erwachsene nun tatsächlich seinem Wunsch nachkommt oder nicht.

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Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 14.5.2016
Aktualisiert am 1.12.2019

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