
Der Begriff „Regression“ stammt vom lateinischen Wort „regredi“ ab, was „zurückgehen“ bedeutet. Wer sich von altersentsprechenden Verhaltensweisen zurückzieht auf frühere Entwicklungsstufen, der regrediert. In kritischen Situationen neigen wir zur Regression. Wir haben dann verstärkt Angst vor dem Alleinsein, verkrümeln uns in unser Bett oder weinen leicht vor anderen.
Die Fähigkeit, zu regredieren ist wichtig. So können wir entspannen, uns helfen und trösten lassen und wir können einschlafen.
Bedeutsame, aber ungelöste Entwicklungsschritte
Immer wieder gibt es Punkte in unserem Leben, an denen wir besonders glücklich oder unglücklich sind. Wir können uns an bestimmte Phasen unserer Kindheit besonders gut erinnern, wenn sie durch besonders starke Gefühle gekennzeichnet waren. Manchmal können Kinder wichtige Entwicklungsschritte nicht gut vollziehen, weil ihre Eltern zum Beispiel ständig streiten. Oder sie können innere Konflikte nicht gut lösen, weil sie zum Beispiel von einem Elternteil immer wieder hart bestraft werden. Diese Phasen der Kindheit können zu sogenannten „Fixierungsstellen“ werden. Bei Problemen im Erwachsenenalter können die ungelösten Probleme der Kindheit wieder auftauchen.
Zurück zur Windel. Besonders Kinder können leicht von reiferen auf frühere Entwicklungsstufen zurückfallen. Bekommt der 5-Jährige ein Geschwisterchen, verhält er sich wieder so wie ein 3-Jähriger: Er fällt von der ödipalen auf die anale Phase zurück. Der Psychoanalytiker Siegfried Elhardt beschreibt „Regression“ als ein „Rückfließen der Libido auf frühere Stufen“.
Bekommen, was bisher fehlte
Regression kann auch heißen, dass wir nachholen wollen, wovon wir zu früheren Zeitpunkten nicht genug bekommen haben. Immer in der Hoffnung, an diesem Punkt doch einmal satt zu werden, verhalten wir uns manchmal wieder wie ein Kind. Dieser Mechanismus spielt zum Beispiel bei der Depression, aber auch bei anderen psychischen Störungen eine Rolle. Wer eine Psychoanalyse macht, der regrediert ebenfalls. Die Regression auf frühere Stufen der psychischen Entwicklung macht es möglich, dass man therapeutisch an dieser Stelle arbeiten kann.
Statt besser wird es schlimmer. Wer scheinbar unlösbare Konflikte vor sich hat, der regrediert in der Hoffnung, den Konflikt mit altbekannten, kindlichen Verhaltensweisen lösen zu können bzw. endlich eine (bessere) Lösung zu finden. Als Kind führten verschiedene Lösungen zum Erfolg, die bei Erwachsenen jedoch nicht mehr funktionieren. Als Kind ist man vollkommen abhängig von den Eltern. Bei „schlechten“ Eltern halfen manchmal nur der komplette Rückzug oder später das Weglaufen oder Hinlaufen zu „guten Fremden“. Bei Konflikten im Erwachsenenalter kommen wir mit unseren alten Hilfsmitteln oft nicht weiter – neue Wege müssen gefunden werden.
Wenn wir regredieren und alte Verhaltensweisen benutzen, können auch wieder kindliche Ängste entstehen. Anstatt besser, fühlt man sich bei der Regression schlechter. Wer sich zum Beispiel bei beruflichen Problemen zu sehr zurückzieht und nicht mehr aus dem Haus gehen oder Auto fahren will, der kann Angst davor bekommen, festzusitzen, eingeschränkt und abhängig zu sein – eine Angststörung kann entstehen.
Regredieren zum Wohlfühlen oder zum Abwehren
Die Regression „im Dienste der Abwehr“ ist eine Flucht vor Problemen, die aber meistens so nicht gelöst werden können. Regression ist jedoch oft auch erwünscht: Zum Beispiel sorgt die Couch in einer Psychoanalyse dafür, dass der Patient leichter regrediert. So werden zum Beispiel Beziehungsprobleme schneller sichtbar. Bei der Regression „im Dienste des Ich“ kann man sich erholen, man kann vertrauen, ein wenig Abstand von allem gewinnen und träumen. Wenn wir krank sind, regredieren wir, lassen uns verwöhnen, bekochen und bedienen, um wieder gesund zu werden. Und jeden Abend, wenn wir ins Bett gehen, „regredieren“ wir, legen wir uns hin wie ein Kind und schlafen ein.
Beispiele für „Regression im Dienste des Ich“ und „Maligne Regression“:
Regression im Dienste des Ich:
Man läuft den ganzen Tag im Schlafanzug rum, liest, sieht fern, isst Süßigkeiten und genießt diesen freien Tag, an dem man sich einmal richtig hängen lassen kann. Am nächsten Morgen kann man erholt arbeiten gehen.
Maligne Regression:
Man hängt nur noch auf der Couch herum und kommt nicht mehr in die Gänge.
Verwandte Artikel in diesem Blog:
Literatur:
Siegfried Elhardt
Tiefenpsychologie
Kohlhammer Stuttgart 2001: 60–62
Brigitte Boothe:
The Unavailable Relationship, the Capacity to Be Alone, and the Female Oedipal Development
International Forum of Psychoanalysis, 1(2): 104-109
www.pep-web.org
Fausta Ferraro:
Some Remarks on an Ongoing Debate: Frequency and Rhythm in the Analytic Process
The Italian Psychoanalytic Annual 2011; 5: 135-156
www.pep-web.org
Ilany Kogan:
When Words are Used to Touch
Psychoanalytic Psychology 2003: 20 (1): 117-130
www.pep-web.org
Dieser Beitrag wurde erstmals am 24.9.2012 veröffentlicht.
Aktualisiert am 26.5.2019
Dunja Voos meint
Liebe Elsen Spiehs,
danke für Ihre sehr gute Beschreibung! Ja, immer wieder erlebt man es, dass man selbst in seiner Stimme schwach wird, dass die „Sprechenergie“ (schönes Wort) abnimmt. Auch beim Liegen auf der Couch und beim Erzählen in der Psychoanalyse kommt das immer wieder vor. Wenn ich einmal Literatur hierzu finde, werde ich sie hier im Blog vorstellen.
Elsen Spiehs meint
Hallo,
Wo beginnt die Regression sich von einem eventuell jederzeitigem Selbstwertverlust über seine eigene Sicht gegenüber anderen zu unterscheiden. Ich kenne ein niederes Selbstwertgefuehl verbunden mit nasal klingender Stimme und absteigender Sprechenergie, wobei die Stimme alsbald versickert.
Dies ist wie vertraut abgespeichert und wenn der Zustand eingeleitet ist hilft nur Aufstehen , um die Stimme zurueckzugewinnen.
Gibt es darüber lösungsorientierte Beratungen und Literatur?
Robby meint
Im Tennis der 80er Jahre gab es eine Zeitlang kaum eine Möglichkeit die überaus harten Aufschläge von Goran Ivanisevic zu retournieren. Dem Österreicher Thomas Muster gelang das im Laufe der Fortdauer eines Matches zunehmend besser. Gefragt nach seinem Erfolgsrezept wies er darauf hin dass sein Trainer das Aufschlag-Verhalten von Ivanisevic unter Stress und Ermüdung analysiert habe. Die sich dann stets wiederholenden Verhaltensmuster nahm der Österreicher als Basis für seine Gegenstrategie. Ich vermute dass so etwas ebenfalls in den Bereich regressiven Verhaltens fällt.