
Wir alle tragen Mutter und Vater (so wir sie denn hatten) in unserer Seele mit herum – der eine mehr, der andere weniger. Mutter und Vater sind als „Primärobjekte“ (primäre Objekte) in unsere Seele sozusagen eingebaut. Sie lieferten uns den Prototyp der Kommunikation. Wie wir uns bei Vater und Mutter fühlten, so fühlen wir uns später im Leben immer wieder mal.
Diejenigen, die eine liebevolle Beziehung zu Mutter und Vater hatten, genießen das und zehren ihr ganzes Leben davon. Doch die schwer traumatisierten Kinder haben später oft nur Eines im Sinn: Mutter und Vater aus der Seele heraus zu befördern.
„Und zwar ganz“
Eines lässt sich immer wieder feststellen: Wer eine – vereinfacht gesagt – böse Mutter/einen bösen Vater hatte, der versucht, sie zu vergessen. Er möchte anders sein, als sie einst waren. Er möchte sich nicht von der Vergangenheit bestimmen lassen. Die Psyche strengt sich sozusagen an, den ungeliebten Vater/die ungeliebte Mutter zu eliminieren, auszukotzen, herauszuspucken, nach außen zu befördern. Und dann geschieht in der Psychoanalyse oft etwas Eigenartiges: Wenn sich aus den Erzählungen eine gute Ecke an Vater oder Mutter zeigt, dann wehrt der Betroffene das vehement ab. Es ist, also bestünde die Gefahr, „der ganze Vater/die ganze Mutter“ käme wieder in die Seele hinein, wenn eine gute Eigenschaft bei Vater oder Mutter erkannt wird. Die Betroffenen sind dann umso mehr bemüht, den Vater/die Mutter wieder auszustoßen.
Integration?
Doch wie kann es gelingen, die guten Anteile von Vater und Mutter zu erkennen, ohne sich zu ekeln, ohne überschwemmt zu werden, ohne es wie einen unguten Sog zu erleben? Es ist ein sehr langer Weg – Mutter und Vater können in der Psychoanalyse stückchenweise neu analysiert und erlebt werden. Manchmal entsteht dann eine Art Akzeptanz, sodass nicht immer das Bedürfnis besteht, sie psychisch „auszuspucken“. Irgendwann ist es dann auch möglich, die ein oder andere gute Ecke zu entdecken. Das weckt oft eine Art Abneigung, aber auch eine ungeheure Sehnsucht nach dem Guten. Und es erweckt eine unglaubliche Trauer. Aber man kann beginnen, so manches zu verdauen. „Will ich verdorbenes Essen verdauen?“, fragt man sich. Doch wenn man nach und nach emotional die Gründe versteht, warum die Eltern so waren, wie sie waren, erscheint es manchmal zunehmend weniger als „verdorben“ oder als Gefahr.
DKJ meint
Vielen Dank für den Artikel.
Er hat mich stark zum Nachdenken angeregt.