
Ein Ruck und der Aufzug steckt fest. Wer gerät da nicht in Panik? „Ich würde wahnsinnig werden, wenn ich ins Gefängnis müsste“, sagen manche. Die Vorstellung, mit sich allein zu sein, ohne Verbindung zu anderen oder zur Außenwelt, kommt der Hölle gleich. Wir spüren uns dann ganz bewusst. Wir sehen aus unseren Augen hinaus, so wie wir in unserem Haus zum Fenster hinausschauen. Wir sehen die Welt da draußen und spüren uns. Wie sind wir da nur hineingekommen? Es kann sich sehr unangenehm anfühlen.
Wir spüren uns plötzlich als Gefahr
Wir bekommen Angst, den Verstand zu verlieren. Wir fühlen uns uns selbst ausgeliefert. Wir fühlen uns machtlos, weil unser Herz anfängt zu rasen, zu schmerzen oder auch einfach nur, weil es weiterschlägt, obwohl wir selbst lieber nicht mehr leben würden. Wir verfluchen es, dass wir uns bewusst wahrnehmen können. Der Film „Die Wand“ handelt genau von dieser Szene: Eine Frau wird von einer unsichtbaren Wand von den anderen abgeschnitten.
Wir kommen uns wie in unserem Körper gefangen vor. Unsere Seele möchte weinen, aber sie kann nicht.
In solchen Momenten fühlen wir uns, als würden wir immer wieder nur unseren eigenen Widerhall hören, so wie Narziss, der in den Wellen des Teichs als Spiegelbild immer nur sich selbst sieht und der besonders von der Nymphe namens „Echo“ begehrt wird. Wir hören unsere Stimme und sie ist uns unheimlich – fremd und eigen zugleich. „Die Hölle, das sind die anderen“, schreibt Jean-Paul Sartre in seinem Drama „Geschlossene Gesellschaft“. Doch die Hölle, das sind wir auch selbst, wenn wir abgetrennt sind von anderen. Ohne Verbindungen ergibt unser Sein wenig Sinn, wir bekommen ein Gefühl der Sinnlosigkeit. Es ist, wie wenn man zu lange auf ein Wort starrt und es dann seine Bedeutung verliert. Liest man aber flüssig ein berührendes Gedicht, so ist jedes Wort ein Genuss.
Wenn wir uns zu sehr spüren, können wir Angst bekommen. So, wie Menschen, die gequält werden, sich selbst auch „zu sehr“ spüren.
Einsamkeit – die Angst der Seele vor der Verbindungslosigkeit ist wie die Angst des Körpers vor der Luftnot
Wenn wir die Verbindung zu den anderen verlieren, dann bekommen wir Angst. Wir brauchen die Verbindung nach außen, zu den anderen, zur Natur – wie wir die Luft zum Atmen brauchen. Wenn wir keine Luft mehr bekommen, bekommen wir große Angst. Alles wirkt dann ganz eng, wie in einem Tunnel. Unser Körper vergiftet sich, wenn er nicht mehr ausatmen kann und keine neue Luft bekommt. Die Seele braucht die Verbindung zu anderen, sonst bekommt sie Angst. Sie fühlt sich eingeengt, verlassen und bedroht – so, als könnte sie sich selbst etwas antun.
„Lieber schizophren, als ganz allein.“
Wohlgefühl?
Unsere Gefühle, unser Eingeengtsein, unser Bewusstsein, unsere Ängste, unsere Erinnerungen, unsere inneren Angriffe gegen uns selbst können zur reinsten Qual werden – interessanterweise oft auch dann, wenn wir uns körperlich eigentlich wohl und unbeschädigt fühlen. Manchmal ist es dann leichter, man empfindet Schmerz in einem Körperteil, weil das schmerzende Körperteil dann wie ein Gegenüber ist, um das wir uns kümmern können.
Während dieses „komischen Gefühls“ des Abgeschiedenseins hilft es manchen, sich zu kneifen oder zu verletzen.
Wichtig: Gute Menschen, die uns innerlich begleiten
Psychotiker leiden oft daran, dass sie kein einziges „gutes inneres Objekt“ haben – nie konnten sie jemandem vertrauen. Es gibt dann keine innere Stimme, die dem Betroffenen Mut zuspricht und ihn tröstet. „Die Person, die ich sehe, bin immer nur ich selbst“, sagen sie vielleicht.
So wichtig die Verbindung ist, so wichtig ist auch die Trennung vom anderen und das Gefühl, ein Individuum zu sein. Eine Verbindung kann nur zwischen zwei getrennten Menschen entstehen. Es ist ein wichtiges Gleichgewicht, das Seele und Körper herstellen müssen, um gesund zu funktionieren.
Wir rufen – aber niemand hört uns. Ein typischer Alptraum in krisenhaften Zeiten.
Beziehung
Die „Phobie vor sich selbst“ hängt also auch mit den Beziehungen zu anderen Menschen zusammen. Ob wir gut mit uns allein sein können, ist auch abhängig von der „inneren Objektwelt“, also von den Menschen, die wir in unserem Herzen und in unserem Kopf als Vorstellung mit uns herumtragen.
Die Angst vor der Ewigkeit, vor ewigem Leben, vor dem Spiegel im Spiegel, vom Sein in einem Zwiebelschalensystem, ist eng verknüpft mit der Frage, wie gut wir auf andere Menschen bezogen sind. Wir beginnen, über das Universum, über den Kosmos zu sinnieren, wenn wir uns verloren fühlen, wenn wir keine Ohren haben, die unser Gesagtes aufnehmen und wenn wir kein verstehendes Gegenüber haben.
„Das Universum ist unendlich, wenn wir auf niemanden stoßen, dem wir vertrauen können.“ #Irgendwogehört
Dieses ungute Gefühl, in sich selbst gefangen zu sein, haben viele auch, wenn sie versuchen, zu meditieren, autogenes Training oder Yoga zu machen. Es fühlt sich an wie ein Eigenhall oder eine Zwangsgrübelei. Wie kam das Ich ins Ich? Bin ich verloren? Mich hat niemand gefragt, ob ich leben will!“ – das sind typische Gedanken, die dann auftreten können. Derealisation und Depersonalisation nennen es die Psychologen: Man schaut auf seine Hand und bekommt Angst vor ihr. Sie gehört gruselig zu einem selbst und doch nicht.
Es fehlt das Gefühl des Mit-sich-Eins-Seins. Kommt dann ein anderer, der seine Hand auf unsere legt, kann es helfen – oder auch nicht. Wenn wir im „Modus der Verlassenheit“ sind, haben wir ein Echo-Gefühl, auch, wenn wir mit anderen zusammen sind. Das liegt dann manchmal daran, dass wir unser Ich nicht ausleben können, dass wir nicht sagen können, was wir wirklich denken oder uns nicht so verhalten dürfen, wie uns wirklich zumute ist.
„Wenn ich im Aufzug stecken bleiben würde, würde ich ersticken vor Angst“, sagt ein Kind.
Manchmal kommt dann die Befreiung von irgendwoher. Jemand sagt was Richtiges. Wir sehen einen Menschen, der uns gut tut und wir erinnern uns an wohlige Gefühle. Wir atmen auf und wenden uns wieder der Welt zu.
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Dieser Beitrag erschien erstmals am 21.11.2017
Aktualisiert am 21.4.2019
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