
Sigmund Freud, Melanie Klein und Wilfred Bion haben mit ihren über viele Jahre entwickelten Angst-Theorien dafür gesorgt, dass Psychoanalytiker und Psychotherapeuten heute mit diesen Grund-Theorien im Hintergrund analysieren und therapieren können. Die Psychologen und Psychoanalyse-Ausbildungskandidaten Johannes Pries und Richard Rink haben in einem Seminar in der Psychoanalytischen Arbeitsgemeinschaft Köln-Düsseldorf e.V. die Angsttheorien auf Grundlage eines Beitrags von Tomas Plänkers (2003) übersichtlich zusammengefasst (Mai 2017). Die beiden haben mir erlaubt, ihre Zusammenfassung hier zu bloggen – Danke!
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Johannes Pries und Richard Rink:
Entwicklung psychoanalytischer Angsttheorien bei Freud, Klein und Bion
(zur besseren Lesbarkeit leicht modifiziert)
Sigmund Freud (1856-1939):
Sigmund Freud entwickelte 1895 die „Erste Angsttheorie“: Verdrängte Libido wandelt sich in Angst um.
1926 entstand Freuds Signalangsttheorie:
Die Angst ist der Motor der Verdrängung.
Das Ich ist die Angststätte:
Freud unterscheidet zwischen Realangst, neurotischer und traumatischer Angst.
Angst entsteht im Rahmen des Ödipuskomplexes als Kastrationsangst.
Es gibt innere Gefahren, die mit Entwicklungskonflikten verbunden sind.
Die Signalangsttheorie enthält eine entscheidende Neuerung: Hatte Freud bei der ersten Angsttheorie noch ein überwiegend physiologisches Verständnis von Angst, so versteht er die Angst jetzt als psychologisches Ereignis.
Die Angst hat eine Bedeutung im Rahmen der inneren Instanzen: z.B. gibt es die Angst vor einer Strafe durch das Über-Ich.
Behandlungsziel ist das Bewusstmachen verdrängter sexueller Wünsche. Der Umwandlungsprozesses „Libido > Angst“ soll umgekehrt werden, sodass sich die Libido entfalten kann. Es sollen unbewusste Konflikte aus der Kindheit sowie die Kastrationsangst und der Ödipuskomplex aufgedeckt werden.
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Die Angst determiniert psychische Erkrankungen. Angst ist der Entwicklungsmotor des Seelenlebens. Das Objekt (= die andere Person) hat bei der Bewältigung der Angst eine entscheidende Bedeutung.
Es gibt eine Verfolgungsangst und eine depressive Angst.
- Verfolgungsangst: Aggressive Impulse werden auf das Objekt projiziert. Dann erfolgt die „Introjektion“ des Objekts (das heißt, das Kind holt das Objekt psychisch sozusagen in sich herein). Daraufhin wird das Objekt im Kind zum verfolgenden inneren Objekt.
- Depressive Angst: Das Kind hat nun Sorge, dem Objekt (sprich der Mutter) Schaden zugefügt zu haben. Es hat Schuldgefühle und ein Bestreben zur Wiedergutmachung.
Psychologische Neuerung: Die Innenwelt bekommt ein Innenleben: Internalisierte Objektbeziehungen führen zu einem inneren Bedeutungsraum, der wiederum nach außen projiziert wird. Die Innenwelt enthält eine innere Beziehungswelt, die als real erlebt wird.
Behandlungsziel ist die Anerkennung von Getrenntheit und Abhängigkeit vom Objekt. Es soll eine Entwicklung hin zur depressiven Position stattfinden.
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Die Psyche ist ein Instrument, um emotionale Erfahrungen denken zu können.
Es gibt einen Urzustand der Gefühle, also unverdaute emotionale Erfahrungen (Beta-Elemente). Das Kind scheidet diese Beta-Elemente sozusagen aus, indem es die Beta-Elemente durch projektive Identifizierung bei der Mutter unterbringt.
Die Mutter funktioniert wie ein „Container“. Sie bewahrt die Projektionen auf, verdaut sie und gibt sie dem Kind später zurück. Sie transformiert die Beta-Elemente in Alpha-Elemente. Aus einem vormals „n-dimensionalem Angst-Raum“ (enthält traumatische, namenlose Angst, die unverdaulich ist) wird ein dreidimensionaler Raum, in dem das Kind die Mutter als denkendes Objekt in sich aufnimmt (internalisiert). So wird der Raum umgrenzt. Mangel und Abwesenheit können gedacht werden. Dadurch, dass die Angst eine Bedeutung bekommt, wird sie tolerierbar. Die Angst ist nicht mehr namenlos, sondern erhält eine Signalfunktion (das heißt, sie weist auf etwas hin).
Bion liefert also ein Erklärungsmodell zur Entstehung eines inneren Raumes. Es ist ein Modell der Psychisierung.
Neuerung: Es gibt eine denkpsychologische Wende: Der Inhalt und das Erleben von Angst ist an das Schaffen und Gestalten eines psychischen Raums gebunden. (Wie sehr das gelingt, hängt unter anderem vom „Funktionsniveau“ des Patienten ab.) Je nach Funktionsniveau versteht der Patient die Deutungen des Analytikers entweder konkretistisch oder abstrakt.
Behandlungsziel bei Bion ist die Entwicklung eines psychischen Raumes. Der Patient soll sich die verstehende Funktion des Analytikers zu eigen machen (Internalisierung der Verstehensfunktion). Es entsteht psychische Separation. Der Patient soll befähigt werden, zu triangulieren. Somit kann er relativieren und die Dinge aus einer Meta-Position betrachten.
Quelle der Zusammenfassung:
Tomas Plänkers:
Trieb, Objekt, Raum. Veränderungen im psychoanalytischen Verständnis der Angst
Psyche, 2003, 57(6), 487-522
https://www.psychosozial-verlag.de/51281
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Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 22.7.2017
Aktualisiert am 1.5.2019
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