Es wird viel über Psychoanalyse gesprochen und gerne wird sie heftig diskutiert von Menschen, die nie eine Psychoanalyse gemacht haben. Es ist vergleichbar mit dem Schwimmen: Man kann die Schwimmtechnik perfekt theoretisch erklären und die Formel des Wassers aufschreiben. Doch um zu spüren, wie frei sich die Beine im Wasser anfühlen und wie schön es ist, von Wasser umgeben zu sein, muss man ins Wasser gehen. (Text & Bild: © Dunja Voos)
„Die Luft ist zum Schneiden“
Während der Psychoanalytiker und der Analysand in ihrer Sitzung zusammen sind, entsteht oft etwas, was sich einerseits schwer beschreiben lässt, was aber andererseits jeder aus Beziehungen kennt. Es entsteht etwas Drittes, etwas „zwischen den Subjekten“ (Intersubjektives), es entsteht ein „psychoanalytisches Feld“. Ich finde, es lässt sich gut beschreiben mit diesem Phänomen, das man gut kennt: Zwei haben sich gestritten und man betritt den Raum. Dann fühlt es sich an, als sei da etwas in diesem Raum. Man erfasst sofort, was los ist. „Die Luft ist zum Schneiden“ sagt man. Keiner sagt etwas, es fehlen die Worte. Man fühlt die Spannung ganz genau.
Der Raum bekommt etwas „Heiliges“
Der Raum, in dem die Psychoanalyse stattfindet, ist etwas ganz Besonderes. Viele Analytiker möchten ihren Raum nicht mit Kollegen teilen, viele Patienten finden es sehr schlimm, wenn „ihr Raum“ z.B. auf der Praxis-Website abgebildet wird. Für Außenstehende wird der Raum, der manchmal auch mit dem „Mutterleib“ verglichen wird, zu hoch gehalten. Sie können „das Tamtam“ darum nicht verstehen. Doch ich vergleiche es gerne mit einem Geburtsraum in einem Geburtshaus: Auch er hat etwas „Heiliges“. In dem Moment der „psychischen Geburt“ ist er etwas Besonderes, während er einige Zeit später „ganz normal“ erscheint. Patienten sprechen über Intimes, über Gewalt, über Leben und Sterben. Sie „beichten“ ihre peinlichsten Gedanken, Taten und Erlebnisse. Es passiert so viel in diesem Raum.
Von groß zu klein
Als Analysand erlebt man den Psychoanalyse-Raum vielleicht wie ein Kind, das seine Umgebung sehr intensiv wahrnimmt. Wenn man als „Erwachsener“ irgendwann nach der Analyse dorthin zurückkehrt, wundert man sich vielleicht, wie viel unspektakulärer dieser Raum ist, als in der Erinnerung gespeichert. In dem Buch „Die Magie der Couch“ (Claudia Guderian) oder in der Bilderreihe von Mark Gerald („In the Shadow of Freud’s Couch“) werden diese Atmosphären spürbar.
Verwandte Artikel in diesem Blog:
Das psychoanalytische Feld – zwischen Zweien breitet sich etwas aus
Now Moment – Gegenwartsmoment und Moment der Begegnung
Psychoanalyse. Zwei Körper in einem Raum (I): ein Aphorismus
Psychoanalyse. Zwei Körper in einem Raum (II): Angst vor Atemgeräuschen
Psychoanalyse. Zwei Körper in einem Raum (III): Berührungen
Zwei Körper in einem Raum (IV): Die Verantwortung des Analytikers
36 PsychoanalytikerIn werden: den Praxisraum teilen?
Dieser Beitrag erschien erstmals am 10.6.2017
Schreibe einen Kommentar