
Wer Psychoanalytiker wird, ist oft schon in einem anderen Beruf erfahren. Er oder sie hat Kinder, kennt Scheidungen, Gerichtsverhandlungen, Hausbau, eigene Patienten-Psychoanalysen, Hartz IV, spirituelle Krisen, psychotherapeutische Schulen, hunderte von Büchern. Er oder sie hat sich bereits sein eigenes Lebenskonzept gestrickt und viele eigene Antworten gefunden. Dann beginnt man – vielleicht mit Mitte 40 – eine Psychoanalyse-Ausbildung. In der Lehranalyse lernt man erneut so Vieles über sich. Es beginnen die Therapien mit Ausbildungsfällen. Und geht man zum Supervisor. Auf einmal ist man wieder der Schüler oder die Schülerin. (Text & Bild: © Dunja Voos)
Man könnte selbst der Kritiker sein
Was dann besonders hart erscheint, sind die Kritiken, auf die man stößt. Mit 20, klar, da ärgert man sich über den Alten, der meint, alles besser zu wissen, schluckt und fährt fort mit der Rebellion. Aber im reiferen Erwachsenenalter trifft die Kritik viel härter. Andere Meinungen neu zuzulassen erscheint manchmal wie ein hohes Hindernis, eben weil man schon so viele eigene Erfahrungen gemacht hat.
„Lehrjahre sind keine Herrenjahre.“ Gut. Mit 20, 25 oder auch 30 Jahren kann man das leicht akzeptieren. Mit Mitte 40 oder 50 ist es weitaus schwieriger. In Zeiten des „lebenslangen Lernens“ findet man sich immer öfter wieder in den „Lehrjahren“.
Änderungsversuche nicht forcieren
Vielleicht stellt man fest: An der Meinung der anderen, der Kollegen und Supervisoren, ist etwas dran. Aber vielleicht passt die Kritik jetzt gerade nicht. Vielleicht muss sie wie ein Samenkorn in die Erde gelegt und über viele Jahre gegossen werden, bis daraus etwas Gutes entsteht. Die Kritik trifft hart. Die Beziehung zwischen Analytiker und Analysand erinnert mitunter an eine Mutter-Kind-Beziehung. Wer Mutter ist, weiß, was es heißt, als Mutter kritisiert zu werden. Ähnlich tief trifft die Kritik an der analytischen Arbeit. Man selbst als ganze Person wird infrage gestellt.
Neues einwachsen lassen
Man kann Neues von außen mit hineinwachsen lassen in das, was man selbst entwickelt. Es ist nicht leicht, im fortgeschrittenen Alter die Meinungen der anderen darüber zu hören, was denn nun besser oder schlechter, richtiger oder falscher sei im Umgang mit den eigenen Patienten. Doch egal, was man hört: Man kann sich Zeit lassen, sich inspirieren lassen, sich verändern und sich dennoch selbst treu bleiben.
Mut macht hier auch der Psychoanalytiker Wilfred Bion (1897-1979) („Gespräche in Sao Paolo“, PSA-Info, Nr. 48, 1997, S. 17):
„Man darf sich nicht einschränken lassen durch die Beschränkungen seiner Lehrer, Dozenten, Analytiker, Eltern. Ist man das, dann gibt es keinen Raum für Wachstum.“
(Bion, 1980)
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