Warum gähnen manche Patienten auffällig viel in der Psychoanalyse? Der Psychiater Surendra Kelwala, Michigan (USA) beschreibt in seinem Blog („Psychoanalysis, Dream Interpretation and Psychiatry), dass Patienten dann gähnen, wenn sie sich vom Schlafen abhalten wollen.
Der Sog zurück ins Unbewusste
Werden unangenehme Themen bewusst, werden sie manchmal wieder ins Unbewusste gezogen, was sich durch starke Müdigkeit äußert: Man will schlafen. Das Gähnen stellt eine Gegenreaktion dazu dar. Gähnen kann auch als Abwehr von Aggression verstanden werden. Statt zuzubeißen, gähnt der Patient.
Das Gähnen tritt dann auf, wenn jemand das Interesse verliert und es ist verbunden mit Langeweile (Askenasy, 1989). Das Gähnen kann – muss aber nicht – zusammen mit Müdigkeit auftreten. Gähnen soll einen erniedrigten Sauerstoffgehalt im Gehirn ausgleichen und vermutlich auch das Gehirn kühlen (Shoup-Knox et al., 2010).
Den Phantasien freien Lauf lassen
Das Gähnen hat bei den einzelnen Patienten unterschiedliche Bedeutungen. Beim Gähnen sieht man den Schlund. Es gibt gähnende Langeweile, aber auch gähnende Leere. Gähnendes Desinteresse. Gähnen tritt häufig bei Säuglingen auf. Es ist ein nonverbales Kommunikationsmittel zwischen Mutter und Kind. Die Mutter macht das Gähnen des Säuglings im mimischen Zusammenspiel nach. Gähnen kann auch ein „Wegstoßen“ sein: „Bleib mir vom Leib! Ich will jetzt von etwas anderem reden, ich will jetzt Schluss machen.“
Viele Deutungsmöglichkeiten
In der Analyse lässt sich vielleicht auch feststellen, dass das Gähnen eine Art Zäsur ist. Nach dem Gähnen folgt oft ein anderes Thema. Das Gähnen kann dabei von Streckbewegungen begleitet werden oder der Patient kratzt sich oder reibt sich die Augen. Gähnen kann auch ein Zeichen des „Erwachens“ oder des Wohlgefühls und der Entspannung sein. Oft ist das Gähnen demonstrativ – der Patient möchte dem Analytiker etwas zeigen, vielleicht so etwas wie: „Ich bin unabhängig, ich brauche dich nicht, du langweilst mich!“
Tiefes Gähnen zum „Oben-Bleiben“
Das Gähnen ist nah am Schlaf und somit am Traum. Es soll ein weiteres Vertiefen eines Themas verhindern. Gähnen ist ein klassisches Zeichen eines Widerstands (z.B. Greenson, R., 1967). Es kann auch eine „Übersprungshandlung“ sein – bei Tieren, z.B. bei Katzen, ist häufig zu beobachten, dass sie gähnen, wenn sie nicht wissen, ob sie angreifen oder sich zurückhalten sollen oder wenn sie irritiert sind.
Verwandte Artikel im Blog:
Langeweile in der Psychoanalyse
Widerstandsanalyse
Links:
Aksenasy, J.J.M.
Is Yawning an Arousal Defense Reflex?
The Journal of Psychology: Interdisciplinary and Applied
Volume 123, Issue 6, 1989, pages 609-621,
Published online: 04 Nov 2012
DOI:10.1080/00223980.1989.10543014
http://www.tandfonline.com/doi/abs/10.1080/00223980.1989.10543014
Melanie L. Shoup-Knox et al. (University at Albany, New York, USA, 2010):
Yawning and stretching predict brain temperature changes in rats: support for the thermoregulatory hypothesis
Frontiers in Evolutionary Neuroscience, 2010, 2: 108
doi: 10.3389/fnevo.2010.00108
http://dx.doi.org/10.3389/fnevo.2010.00108
http://journal.frontiersin.org/article/10.3389/fnevo.2010.00108/full
Greenson, Ralph R. (1967):
Technik und Praxis der Psychoanalyse
Original 1967, Klett-Cotta, 9. Auflage 2007: S. 75
http://www.klett-cotta.de/buch/Psychoanalyse/Technik_und_Praxis_der_Psychoanalyse/5613
Köpp, W (2010):
Die Arzt-Patient-Beziehung in der psychotherapeutischen Einzelbehandlung.
In: Deter HC (Hg): Die Arzt-Patient-Beziehung in der modernen Medizin
Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2010, S. 253-262
http://www.dr-werner-koepp.de/publikationen.htm
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