Der Beginn einer Psychoanalyse kann einem Keller-Aufräumen gleichkommen: Mühevoll schleppt man Kisten von links nach rechts, schaut in alte Kartons und schmeißt das ein oder andere Päckchen raus. Auf der Couch liegend klagt der Analysand über heftigste Rückenschmerzen, Kopfschmerzen, Panikattacken, Zwangsvorstellungen, Atemnot, Müdigkeit und vielem mehr. Er leidet an Streiterein, Partnerschaftskonflikten, Schwierigkeiten mit den Vorgesetzten, traumatischen Erinnerungen oder Arbeitslosigkeit. Das sind die großen Steine, die dem Leidenden auf dem Herzen liegen und die nach und nach bearbeitet werden wollen. Doch eines Tages kommt der Punkt, da legt sich der Patient auf die Couch und fühlt sich wohl. Und dann wird er von Gedanken und Gefühlen gestört, die nochmal etwas ganz Eigenes bedeuten.
Das Wohlgefühl ermöglicht den Blick auf grundlegende Probleme
Im Laufe der Analyse sind viele Analysanden immer weniger bereit, sich zu quälen. Es geht ihnen zunehmend besser, sie finden Worte für ihre Leiden und fassen Vertrauen zum Analytiker. Diese Schritte können sehr, sehr lange dauern. Doch bald tauchen immer mehr Momente des Wohlfühlens auf. Und dann wird es oft sehr interessant: Der Analysand bemerkt vielleicht, wie er sich das Wohlfühlen gar nicht richtig erlauben kann. Er bemerkt seine Angst vor Zärtlichkeit, vor der emotionalen Berührung und vor den eigenen Regungen und Erregungen. Sexuelle Erregung wird erst möglich, wenn man sich wohlfühlt. Viele sind dann erschrocken, diese Erregung in der Analyse zu spüren. Jetzt kommen auf einmal Themen zum Vorschein, die bisher immer abgewehrt wurden. Viele flüchten sich bei den ersten Anzeichen des Wohlgefühls gleich zurück in altbewährte Probleme.
Zwei Schritte vor, einer zurück
Oft bemerken die Betroffenen, wieviele Ängste das Wohlgefühl in ihnen auslöst. Sie bemerken, dass der Weg zum anderen Menschen frei ist. Sobald die Rückenschmerzen und anderen Leiden vergangen sind, wird noch einmal eine ganz andere emotionale Nähe zum Therapeuten möglich. „Ist es ok, dass ich mich wohlfühle oder muss ich mich dafür schuldig fühlen? Darf ich hier für mich ein bisschen nachdenken oder muss ich den Therapeuten unterhalten, ihm gefallen, ihn von dem echten Kontakt ablenken?“ Gedanken und Gefühle wie diese können auftauchen und beleuchtet werden.
Wenn sich der Analysand besser fühlt, tauchen erste Oasen der Gesundheit auf. Er spürt: Ah, so könnte es gehen. So fühlt es sich gut an. Und rutscht dann aus verschiedenen Ängsten heraus wieder ab. Doch auch das ist Teil des normalen Lebens. Das Gesunde zu erkunden und länger dort zu verweilen ist eine wichtige Aufgabe der Psychoanalyse. Dabei zeigt sich aber auch, wie flüchtig das Gute sein kann. Anstatt es festhalten zu wollen, kann die Neugier weiterhelfen: Was hat das Leben mir zu bieten?
Neu
Im Wohlgefühl wird es deutlich, wie schwierig es sein kann, einen guten und entspannten Kontakt zu einem anderen Menschen zu haben. Wer immer nur hochproblematische Kontakte und Beziehungen erlebt hat, der wird erstmal ganz unsicher. Aber die Arbeit im Wohlfühl-Zustand bietet neue Chancen. Sie ist genauso wertvoll wie die Arbeit im angespannten und „kranken“ Zustand. Jetzt kann das Gute mehr Raum einnehmen, sodass es dem Analysanden möglich wird, auch im „echten Leben da draußen“ in befriedigenden Beziehungen zu leben.
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