„Eine Psychzoanalytikerin lernt sprechen“ lautet der Untertitel des Buches „Worte, die berühren“ von Danielle Quinodoz (quinodoz.com). Allein diese Zeile hat mich so berührt, dass ich das Buch beim Verlag Brandes & Apsel bestellt habe. Die Genfer Psychoanalytikerin zeigt auf 200 Seiten anhand zahlreicher Beispiele, wie sie in der Zusammenarbeit mit ihren Patienten jeweils eine gemeinsame Sprache fand. Dabei geht es ganz entschieden nicht um körperliche, sondern nur um die psychische Berührung.
Psychisch berührt
Kürzlich habe ich in diesem Blog das Buch „Das Risiko der Verbundenheit“ von Chris Jaenicke, einem intersubjektiven Psychoanalytiker vorgestellt. Er bringt Argumente für die körperliche Berührung, die ich selbst nicht teilen kann. Ich habe dann mit großem Interesse die Meinung von Danielle Quinodoz gelesen:
Ich unterscheide mich also von Psychoanalytikern wie Ferenczi, Winnicott oder Balint, die dachten, der Analytiker könne sich dazu veranlasst sehen, bestimmte Patienten physisch zu berühren, das heißt ihnen die Hand zu halten oder ihnen die Hand auf die Stirn zu legen …“ (3. Auflage 2002, S. 157)
Quinodoz hält es „für wesentlich, den Patienten physisch nicht zu berühren, denn der Analytiker ist der Garant von dessen Bedürfnis nach Integration …“
Wenn ein Analysand sage, er wolle in den Arm genommen werden, „vergisst er (der Analytiker) nicht, dass der Patient unbewusst ebenso intensiv den Wunsch hat, auf keinen Fall in die Arme genommen zu werden … der Patient wird umso freier sein, seinen Wunsch auszudrücken …, je sicherer er sein kann, dass der Analytiker ihn nicht erfüllen wird“ (S. 157).
Der Körper in der Psyche
Quindodoz schreibt überaus verständlich und lebendig. Das Buch enthält keine konkreten Ratschläge oder Vorschläge zur Vorgehensweise in der Analyse. Aber es zeigt anhand von Beispielen, wie es möglich werden kann, den Patienten psychisch wirklich tief zu berühren. Dabei beschreibt Quinodoz auch, wie der Körper in der Psyche abgebildet (repräsentiert) wird. Wir habend zum Beispiel nicht nur eine Nase, sondern auch eine psychische Vorstellung von unserer Nase. Wir können uns gut vorstellen, wie sich körperliche Berührungen – gute wie schlechte – in der Vergangenheit anfühlten. Die psychische Berührung kann so intensiv sein, dass sie fast wie eine körperliche Berührung empfunden wird.
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Buch:
Danielle Quinodoz:
Worte, die berühren
Brandes & Apsel, 3. Auflage 2002
amazon
Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 13.3.2015
Aktualisiert am 28.11.2015
Fips meint
Bezüglich Suizidgedankenäußerungen habe ich andere Erfahrunge gemacht. Mehrfach mußte ich mich Zwangseinweisung erwehren. Daß darüber reden, erleichtert, stimme ich zu. Nur muß es auch wirklich konsequenzlos bleiben. NIcht nur bei mir, war das nicht so.
Mir geht es per se nicht um diese Körperkontaktgeschichte. Sondern daß vorgefaßte Meinungen auch den Therapeuten sehr stark beeinflussen und wo der Patient Schwierigkeiten hat, sein zu können, weil er von Vorurteilen in Räume gepresst wird, die nicht seine sind.
Mein Eindruck ist, daß das „Manchmal“, wo sich Patienten durch Nichtreaktionen alleine gelassen fühlen, öfter ist. Ich habe viel mit Betroffenen in Kontakt gestanden. Die Nichtreaktionen machen vielen zu schaffen und dies kann als eigenes Auftreten auch Berücksichtigung finden in Gestaltung der Behandlung. Für jene, die es betrifft, ebenso wie für jene, die Nichtreaktion gut tun, es betrifft und das gewährleistet wird. Solche lernte ich auch kennen, die fanden es hilfreich. Es gibt solche und solche, aber nur ein Konzept dafür (?).
Dunja Voos meint
Lieber Fips,
zur Psychoanalyse-Ausbildung gehört es, dass man selbst in die Lehranalyse geht und sich selbst auf der Couch erlebt. Hier erlebt man auch, dass man einen Wunsch ausspricht und gleichzeitig erleichtert ist, dass dieser Wunsch nicht erfüllt wird. Auch die Patienten selbst sagen oft: „Ich bin echt froh, dass Sie nicht reagieren auf das, was ich sage.“
Dass eine Mutter ihr Kind in den Arm nimmt, wenn es das möchte, ist natürlich. Doch die Beziehung zum Analytiker ist eine andere. Hier will man gemeinsam mit dem Analytiker nachdenken.
Das trifft auf viele Ebenen zu. Beispielsweise sprechen viele Patienten das erste Mal in der Analyse über ihre Selbstmordgedanken, weil sie sich hier sicher sein können, dass der Therapeut – anders als vielleicht der Hausarzt – nicht zum Telefon greift und gleich handelt.
Manchmal fühlen sich Patienten durch dieses „Nicht-Reagieren“ alleingelassen. Oft aber ist es so, dass sie sich über die Freiheit freuen, sagen zu dürfen, was sie wirklich denken.
Fips meint
”Wenn ein Analysand sage, er wolle in den Arm genommen werden, “vergißt er (der Analytiker) nicht, daß der Patient unbewußt ebenso intensiv den Wunsch hat, auf keinen Fall in die Arme genommen zu werden “
Werden diese und andere Sachen hinterfragt, ob ihrem Vorhandensein bei jeweiligen Patienten? Der Therapeut scheint tendenziell eine fixierte Vormeinung von seinem Patienten im Vorfeld zu haben.
Zur Verdeutlichung, wie abstrus manches vorkommt: In obigen Absatz Patient durch „Kind“ und Therapeut durch „Mutter/Vater“ ersetzen. Oder durch andere Menschlichkeiten, wie „Trauernder“ und „Nachbar, der zuhört“. Es braucht keine besondere Beziehung zu sein. Nirgends käme man auf die Idee das, was als Bedürfnis geäußert wird zum Gegenteil ungefragt zu definieren.
Umarmung ist hier nur der Aufhänger, Es gibt viele Vormeinungen, die dem Patienten scheinbar übergestülpt werden und negiert durch den Therapeuten durch seine Bevormundung zu wissen, was das Richtige/Besssere für den Patienten ist. Hört man dem Patienten überhaupt zu, ist es wichtig, was er sagt? Kann er überhaupt was sagen, was für wahr genommen wird, gerade das, was der Therapeut psychologisch für unmöglich (nicht vorkommend) hält?