„Mama, kannst du meine Gedanken lesen?“, fragt mich mein Kind ängstlich. „Nein, das kann ich nicht.“ Aufatmen. „Aber ein bisschen?“ – „Naja“, antworte ich, „wenn ich ein Schokoladeneis auf den Tisch stelle und du schaust es an, dann glaube ich, dass du denkst, dass du es gerne essen würdest. Aber auch das ist nur geraten. Lesen kann ich deine Gedanken nicht.“
Wohl die meisten Menschen fürchten sich dann und wann davor, dass man ihre Gedanken lesen könnte. Menschen in schwerer psychischer Anspannung sind streckenweise davon überzeugt, dass man ihre Gedanken lesen kann. Sätze aus der Kindheit wie „Du bist für mich wie aus Glas“ oder „Der liebe Gott sieht alles“ können solche Ängste verstärken.
Ein Raum für die Gedanken
Wenn wir denken spüren wir vielleicht, dass wir einen inneren Raum zum Denken haben, so etwas wie einen mentalen Apparat. Sind wir gesund und geht es uns gut, so wissen wir, dass unsere Gedanken in uns tatsächlich frei sind. Wir können mit ihnen spielen, sie hin und her schieben, sie verheimlichen oder anderen mitteilen. Wir haben bewusste und unbewusste Gedanken. Unbewusste Gedanken sind oft unangenehme Gedanken, aber oft auch schöne Gedanken, die wir uns selbst verbieten und die wir verdrängt haben. Zum Beispiel erlauben wir uns auf einer Trauerfeier vielleicht nicht bewusst zu denken: „Gut, dass der jetzt tot ist.“ Unbewusst denken wir das aber weiter. Es kommt dann in Träumen oder Freud’schen Versprechern hervor.
Was machen wir mit unseren Gedanken?
Wenn alles gut ist, dann denken wir einfach unsere Gedanken und wissen sie gut in uns selbst aufgehoben. Bei psychischen Störungen ist die Gedankenwelt jedoch oft gestört. Manchmal gibt es keinen rechten Platz für die Gedanken. Was passiert dann?
Gedanken als Körperempfindung, Wahrnehmungsstörung oder Zwangshandlung
Wenn uns etwas so bedrückt, dass wir nicht daran denken wollen oder es gedanklich „nicht verpackt“ bekommen, können wir Bauchschmerzen bekommen – die „Gedanken“ sind dann sozusagen unausgesprochen in unserem Bauch. Wenn wir an Läuse und Flöhe denken, fängt es an, auf unserer Haut zu jucken. Ein Gedanke „juckt mich“ oder „juckt mich nicht“. Da sind die Gedanken dann auch im Körper bzw. in der Wahrnehmung gelandet. Menschen mit schweren psychischen Störungen hören manchmal Stimmen oder sehen Dinge, die nicht da sind. Auch hier spiegeln sich eigene Gedanken in der Wahrnehmung wieder.
Unaushaltbare Gedanken wegwaschen
Manche Menschen, die schwere Traumata erlitten haben, können die Gedanken an das Geschehene bzw. Nicht-Geschehene nicht ertragen. Vielleicht es auch zu schlimm, um überhaupt „denkbar“ zu werden. Wann immer Gedanken an das schlimme Ereignis auftauchen oder wann immer Ängste, Scham und Schuldgefühle hochkommen, versuchen manche Betroffene die Gedanken „wegzuspülen“: Sie betätigen ständig die Toilettenspülung oder haben einen Waschzwang. Hier äußern sich die Gedanken, die keinen guten Platz in der Psyche haben, als Handlungen.
Die Gedanken purzeln im Schlaf umeinander
Unser Denken kann durch schlimme oder auch freudige Ereignisse, durch Krankheit, Fieber, Medikamente, Alkohol oder Müdigkeit beeinträchtigt werden. Abends sind wir manchmal so müde, dass wir „keinen klaren Gedanken mehr fassen“ können. Was wir gerade denken, vergessen wir sofort wieder, wir können das Gedachte nicht mehr halten oder zu Ende denken. Wir schlafen ein und träumen dann. Hier sind die Gedanken dann wirklich frei: Vom geordneten, bewussten Denken am Tag, dem sogenannten sekundärprozesshaften Denken schalten wir um auf das primärprozesshafte Denken.
In Bildern denken
Im Traum „denken“ wir ungeordnet und häufig nur in Bildern. Die Gedanken purzeln durcheinander, Gegensätze widersprechen sich nicht, Zusammenhänge scheinen zu fehlen, alles wird auf den ersten Blick „unlogisch“. Viele Gedanken können sich zu einem Gedanken verdichten, sodass wir z.B. von einem Gegenstand träumen, der viele unserer Gedanken zusammenfasst. Wenn wir ungestört schlafen und träumen, wachen wir am nächsten Morgen erfrischt auf. Wir fühlen uns sortiert und können mit klarem Denken in den neuen Tag gehen.
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Literaturtipp:
Ronald Britton:
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Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht im März 2014.
Aktualisiert am 1.3.2015
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