„Das können wir auf gar keinen Fall tolerieren. Wir müssen das Übel an der Wurzel packen und es wann immer möglich entschieden bekämpfen! Ich jedenfalls will mit solchen Leuten nichts zu tun haben. Ignorieren und gründlich bekämpfen – das ist das beste Mittel!“ Solche Sätze las ich kürzlich in einer Online-Diskussion. Zuerst war ich mir nicht sicher, um wen es in der Diskussion ging. Dann merkte ich: Die Nazis waren gemeint. Sie sollten „entschieden bekämpft werden“. Ist dann alles richtig herum? Kann Rauswerfen und Bekämpfen die Lösung sein?
Wer ist der Böse?
Als in den USA noch Präsident George Bush regierte, las ich das Buch „Bush auf der Couch“ von Justin A. Frank. Der Autor stellte wunderbar dar, wie austauschbar die Sätze von Bin Laden und George Bush waren. Wenn man die Namen vor den Zitaten wegließ, konnte man nicht sagen, wer die jeweiligen Sätze nun eigentlich gesagt hatte.
Wer sind denn „die Nazis von heute“?
Wer genauer hinschaut, sieht, dass „die Nazis von heute“ häufig junge Menschen sind, die orientierungslos sind, sich haltlos und verlassen fühlen, oft mit Gewalt und in Armut aufwuchsen. Diese jungen Menschen könnten eigentlich jeder beliebigen fanatischen Gruppe angehören – Hauptsache, die Gruppe bietet Orientierung und ein klares Schwarz-Weiß-Denken. Der amerikanische Psychoanalytiker Henri Parens, dessen Mutter im 2. Weltkrieg von den Nazis ermordet wurde, forscht seit Jahrzehnten daran, wie Aggression und Rassismus zusammenhängen (siehe Aggressionen vorbeugen heißt Rassismus vorbeugen).
Schleichend
Neben den offensichtlich überengagierten jungen Nazis gibt es noch diejenigen im „Verborgenen“: Erzieherinnen, Lehrer, Politiker, die wieder schleichend das nationalsozialistische Denken verbreiten. Diese Menschen werden verständlicherweise noch mehr gefürchtet – die Angst ist groß. Doch ist diese Angst oft auch ein Spiegel des eigenen, unverarbeiteten sogenannten „Bösen“. Heute setzen sich viele Menschen damit auseinander, dass es in der eigenen Familie Nazis gab. Bücher über „Kriegskinder“ und „Kriegsenkel“ berichten davon. Manche Menschen versuchen, ihre Schuldgefühle zu verdrängen, aber Schuldgefühle können sich eben leicht über Generationen fortsetzen. Anstatt sie zu verdrängen, könnte man versuchen, sie einmal vorsichtig und mutig mit Interesse zu betrachten.
Was geht in mir vor?
Das Äußere verbannen will man gerne dann, wenn man in sich selbst ähnlich klingende Stimmen feststellt. Aber darf man sich das erlauben? Darf man es sich erlauben, auch einmal einen Fremden abzulehnen? Kann man sich mit seiner eigenen Fremdenangst, die in jedem Menschen steckt, auseinandersetzen? Gibt man sich selbst genug Raum, die eigenen aggressiven Gedanken zuzulassen? Wenn nicht, dann ist man geneigt, schnell das Böse außen festzumachen und „die braune Scheiße“ einfach rauszuwerfen. Aber sie kommt vielleicht zurück – in irgendeiner Form. Wirklich geholfen ist dem „Bösen“ und „Fremden“ nur, wenn man versucht, es bei sich selbst und bei anderen zu verstehen.
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Thomas Auchter:
Die Geschichte vom weißen Zebra – oder: Seelische Ursprünge des Rassismus
Psychoanalyse aktuell, 2010
Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am: 29.8.2013
Aktualisiert am 23.1.2015
Christianius meint
Guten Abend Morgen, Mittag den Lesern und Schreibern
Fremdenfeindlichkeit hat „immer“ mit der eigenen Angst in uns Menschen selbst zu schaffen.
Arno Gruen schrieb einmal (Buch: Das Fremde in uns) von dem Mechanismus der projektiven Idendifikation. Dieser unreife Abwehrvorgang erlaubt dem Betroffen Gefühle wie z.B. Angst auszulagern. An den Fremden zu projezieren. Aber mittig ist der Begriff Fremdenfreindlichkeit, der damit verbunden Mechaniusmus der projektiven Identifikation, etwas, was Menschen selbst nicht bei sich ertragen können, es dem vermeintlich Bösen in die Schuhe schieben möchten.
Michaela Albrecht meint
Ich fand diesen Artikel sehr gut. Jeder ist fremdenfeindlich – nur ist für jeden etwas anderes fremd, und jeder geht mit seiner Fremdenfeindlichkeit anders um. Die äußere Welt ist eine Reflexion der inneren Welt.
Natürlich bin auch ich angewidert von den menschenverachtenden Parolen, die gerade wieder salonfähig werden. Aber Bekämpfen nützt nichts, denke ich. Härte erzeugt nur mehr Härte auf der anderen Seite. Der einzige Sinn des Bekämpfens besteht darin, sich selbst auf der Seite der Guten zu positionieren. Die neuen Nazis werden nicht schlauer und einsichtiger, je mehr sie ausgegrenzt werden. Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung, wie man das wieder ändert, aber Ausgrenzung hat noch nie geholfen.
Ho’oponopono wäre vielleicht ein guter Weg.
doktorkohl meint
Raus, aber wohin? Wären sie denn dort besser aufgehoben? Das sind die beiden offenen Fragen.
Gehe ich von mir aus, so stelle ich fest, daß es Höhen und Tiefen im Leben gab. Ich lernte viele süchtige Menschen im Leben kennen und fragte mich, ob ich dazugehöre. Eigentlich wollte ich es nicht, aber irgendwie war es doch schön in einer Gemeinschaft mit ähnlichen Zielen aufgenommen zu sein. Irgendwann ging es bergab, und ich stieg aus; glücklicherweise gelang es.
Mit einer Gesellschaft, gerne auch Volk genannt, ist es ähnlich. Auch hier müssen wir regelmäßig prüfen, wo wir stehen. Wie ist das mit der Demokratie? Wie ist der Umgang mit Minderheiten? Und die (nennen wir sie) Faschisten sind zum Glück auch eine Minderheit derzeit. Wir sollten sie beobachten.
Aber die Forderung nach „Nazis raus“ bedeutet gewiß eine Ausgrenzung, aber ich habe im Leben gelernt, daß es Menschen gibt, die nur dann selbst reflektieren, wenn ich sie loslasse oder „rausschmeiße“ gedanklich, später örtlich. Das ist unsere Hoffnung. In diesem Sinne beteilige ich mich gelegentlich an Gegendemonstrationen, wenn Rechte oder Neurechte unsere Demokratie noch schlechter machen wollen, als sie ohnehin schon ist.
Jay meint
Der Psychoanalytiker Erich Fromm sagte, Adolf Hitler wäre nekrophil gewesen.
Er meint damit,, Hitler liebte den Tod und hasste alles vitale, alles lebendige.
In der Tat wird in der nationalsozialistischen Ideologie und in ihren Mythen ständig betont, dass das Jenseits vermeintlich größer und ehrenvoller als das Diesseits sei.
Die angestrebte Auslöschung des Individuums im völkischen Kollektiv, ist mit dem permanentem nationalsozialistischen Bezug auf „die Ahnen“ und auf zukünftige Generationen höchst kompatibel.
Nicht umsonst hing das Gemälde „Die Toteninsel“ von Arnold Böcklin, als Ausdruck deutscher Befindlichkeit, um das Jahr 1900 als Kunstdruck in ziemlich vielen deutschen Wohnstuben.
Die Deutsche Romantik und die völkisch-naturalistische Reformbewegung waren ein fruchtbarer Boden, auf dem der Nationalsozialismus gedeihen konnte.
Nicht zu vergessen, die autodrestuktiven Dynamiken dieser Ideologie, die Freud wahrscheinlich als Destruktions- bzw. Todestrieb erkannte hätte.
Man darf eins nicht vergessen:
Hitler hasste die Juden, die Franzosen und die Polen – aber vor allem hasste Hitler auch die Deutschen!