Selffulfilling Prophecy wird oft missverstanden

Natürlich gibt es sie: scheinbar „geheime Kräfte“, die uns bei unseren Vorhaben immer wieder einen Strich durch die Rechnung machen. Oft sind es unbewusste Erwartungen, Wünsche oder Phantasien, die verhindern, dass wir unser Ziel erreichen. Da fällt ein Student immer wieder durch die Prüfung, auf die er sich gut vorbereitet hat, weil er insgeheim den Neid des unstudierten Vaters fürchtet. Der Student weiß: „Ich werde sowieso wieder durch die Prüfung fallen.“ Er fällt aber nicht durch, weil er es sich so sagt, sondern weil er Ängste hat, von denen er nichts weiß und die vielleicht erst in einer psychoanalytischen Therapie verstanden werden können. Die „Selffulfilling Prophecy“ wird jedoch oft missverstanden, weil mit bewussten Vorgängen argumentiert wird.

Macht Angst Krebs?

„Wenn Du Dich immer vor Krebs fürchtest, wirst Du ihn auch bekommen“, sagt die Freundin. Oder: „Du darfst Dich nicht vor einer Fehlgeburt fürchten, sonst tritt sie auch ein.“ Oder: „Wenn Du nur daran glaubst, dann wirst Du die Gehaltserhöhung bekommen.“ „Selffulfilling Prophecy“, Selbsterfüllende Prophezeiung sagen manche dazu. Der Begriff geht auf den amerikanischen Soziologen Robert King Merton (1910-2003) zurück und ist ein beliebter Begriff in der Alltagssprache geworden. Viele Menschen gehen davon aus, dass man mit bewusst positivem Denken alles erreichen könnte. Doch sie lassen das Unbewusste außen vor, das manchmal stärker ist – und gewinnt. Wie es in der Realität aussehen kann, beschreibe ich in meinem Buch:

„Da fürchtet man sich vor der Schweinegrippe und bekommt überraschend die Masern. Man kann tief davon überzeugt sein, gesund zu sein, während im Verborgenen bereits ein Tumor wächst – oder umgekehrt: Manch ein Hypochonder ist überzeugt davon, schwer krank zu sein, während er sich 100 Jahre lang bester Gesundheit erfreut.“ (Psychoanalyse tut gut, Psychosozial-Verlag 2011, S. 164, Link zu amazon)

Wir haben nicht alles im Griff

Natürlich hilft das Wollen und das Wünschen. Wenn es mit unserem Unbewussten im Einklang ist, können wir viele unserer Ziele erreichen. Doch wir haben eben nicht alles im Griff: Es gibt Patienten mit schwerem körperlichen Leid, die wollen noch so sehr gesund sein und „schaffen“ es nicht, weil es eben auch vieles gibt, das wir nicht steuern können.

Der Gedanke an die selbsterfüllende Prophezeiung macht Zwangspatienten Angst

Patienten mit einer Zwangsstörung leiden manchmal ganz besonders, wenn es um die „Selffulfilling Prophecy“ geht – hier ist das Thema der Selbsterfüllenden Prophezeiung sozusagen zur Krankheit geworden. Sie glauben nicht daran, dass die „Gedanken frei“ sind, sondern sie glauben stark an das „magische Denken“. Zwangspatienten haben Angst, dass ein Unglück geschieht, wenn sie ihrem ungeliebten Kollegen etwas Böses wünschen und nicht gleich dazu sagen: „Klopf auf Holz“. Sie befürchten, dass sie dem anderen tatsächlich Leid zufügen, wenn sie sauer auf ihn sind. Sie müssen sich ständig waschen, um „dreckige“ Gedanken oder Erinnerungen von sich fernzuhalten. Sie halten ihre Gedanken im Zaum und quälen sich mit Ritualen oder zwanghaften Grübeleien. Für manche ist es wie eine Mutprobe, bewusst auch einmal etwas „Böses“ zu denken – groß ist die Erleichterung dann, wenn sie sehen, dass dann nicht automatisch etwas Schlimmes passiert. Wer von einer Zwangsstörung betroffen ist, lernt in einer Psychotherapie manchmal erst mühselig, dass Denken und Tun, dass Innere Realität und Äußere Realität zwei verschiedene Dinge sind und dass die Gedanken längst nicht so viel Kraft haben wie angenommen.

(Aber-)Glaube bleibt immer

Obwohl wir in einer hochtechnisierten Welt leben – oder vielleicht gerade deshalb – sind unsere Ängste, Wünsche, Hoffnungen, Vorstellungen und ist unser (Aber-)Glaube längst nicht ausgestorben. In anderen Kulturen ist das „Magische Denken“ weniger eine „Krankheit“ als eben ein Teil der Kultur. Was nun für einen selbst stimmt und was nicht, findet jeder für sich im Laufe des Lebens selbst heraus.

Eine kleine Geschichte aus der Entwicklungshilfe

Ein Bekannter arbeitete als Arzt in Afrika. Dort haben Entwicklungshelfer an einem Besen demonstriert, wie man ein Kondom überstülpt. Sie erklärten, dass sich so eine Schwangerschaft verhindern ließe. Bald darauf kam ein enttäuschtes Paar und sagte: „Wir haben jeden Abend das Kondom über den Besen gezogen – und dennoch ist die Schwangerschaft eingetreten.“ Hier spielen magisches Denken, abstraktes und konkretes Denken sowie psychologische und kulturelle Missverständnisse eine Rolle. Die westlichen Aufklärer hätten nicht daran gedacht, dass ihre Beispiele wörtlich – oder auch „magisch“ – aufgefasst werden könnten.

Ausprobieren, wie frei die Gedanken sind

Für viele ist es eine Erleichterung, wenn sie einmal ausprobieren, wie frei die Gedanken doch sind: Man kann dem verhassten Nachbarn einen Autounfall wünschen und er kommt dennoch gesund nach Hause. Ich habe auch schon „Hellseherinnen“ erlebt, die bei Schwangeren sicher waren: „Das wird ein Bub.“ Und dann wurde es ein Mädchen. Auch bezogen auf uns selbst, stellen wir doch oft fest, dass unsere Überzeugungen oder „Prophezeiungen“ nicht zutreffen: Obwohl wir sicher waren, wir hätten einen Tumor, stellt sich doch oft heraus: alles gesund.

Negativ denken erlaubt

Wir dürfen uns vor Krankheiten fürchten, wir dürfen befürchten, durch die Prüfung zu fallen, wir dürfen den „Feind“ verfluchen und uns selbst ausmalen, wie wir die schlimmsten Katastrophen erleben. Es ist auch schön, dass wir so etwas denken können. Filme entstehen so – und tolle Bücher. In der Realität stellen wir dann fest: Es ist nichts Schlimmes passiert. Und wenn’s doch nicht gut geht? „Wir dürfen den Zufall nicht unterschätzen“, hörte ich einmal einen Zufallsforscher sagen. Wenn wir etwas „Schlechtes“ denken und das „Schlechte“ tritt ein, dann kann es Zufall sein, dann kann etwas gleichzeitig passiert sein, ganz unabhängig von unserem Denken. Vielleicht sind wir aber auch unbewussten Wünschen gefolgt und haben das Schlechte „inszeniert“. Wir ziehen oft aus dem „Schlechten“ unbewusst etwas Gutes. Wer zu schlechtem Gewissen neigt und unter Schuldgefühlen leidet, wer also ein strenges Über-Ich hat, dem geht es infolge von „Selbstbestrafung“ manchmal psychisch besser. Die Zusammenhänge können da sehr kompliziert sein.

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Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 1.2.2013
Aktualisiert am 24.9.2014

3 thoughts on “Selffulfilling Prophecy wird oft missverstanden

  1. Jay sagt:

    Interessant zu diesem Thema ist Freuds „Totem und Tabu“.
    In diesem Werk betrachtet er magisch-animistische Weltbilder aus psychoanalytischer Sicht.
    Ich finde, man kann es auch heute noch gut lesen, obwohl es 100 Jahre alt ist.
    Mich hat sehr erstaunt, dass Freud ähnliche Formen des Aberglaubens und magischen Denkens in fremden Völkern aufzeigt, deren Kultur sich von unserer sehr unterscheidet.
    Man ist versucht, hier das kollektive Unbewusste nach Jung als Erklärungsmodell heranzuziehen,
    auch wenn Freud dann im Grab rotiert. ;-)

  2. Katharina sagt:

    „Negativ denken erlaubt“ – dieser Satz nimmt mir soeben 3 Tonnen von den Schultern. Ich habe morgen einen sehr verantwortungsvollen Tag vor mir und ich habe Angst. Angst zu versagen, ohnmächtig zu werden, die Kontrolle zu verlieren und und und.. Diese Gedanken auch ausdenken zu können ohne es herbeizuwünschen, das hilft mir gerade.. es wird alles gut, nicht wahr?? ;)

    Danke und LG

  3. Robby sagt:

    Hallo

    Zitat: „Viele Menschen gehen davon aus, dass man mit bewusst positivem Denken alles erreichen könnte. Doch sie lassen das Unbewusste außen vor, das manchmal stärker ist…“

    Kann man diese Aussage auch auf Gruppen beziehen ? Wenn ja, wäre das auch über das Freud’sche Modell erklärbar ?
    Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang an den Fall einer NLP-geschulte Fußballmanschaft die sehr erfolgreich agierte, in den wirklich entscheidenden Spielen aber regelmäßig versagte und bis heute als „ewiger Zweiter“ bekannt ist.

    VG
    Robby

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