Hochfrequente Psychoanalyse: „Vier Stunden pro Woche sind aber viel!“

„Hat es nicht etwas Sekten-mäßiges, vier Mal pro Woche zur Psychoanalyse zu gehen? Ist das nicht realitätsfern? Macht es einen nicht sogar noch verrückter?“ Wer eine hochfrequente Psychoanalyse macht, mag sich dann und wann fragen, wie sinnvoll das Ganze ist und ob es zwei oder drei Stunden pro Woche nicht auch täten. Und dann gibt es wieder Phasen, in denen man merkt: Die hochfrequente Psychoanalyse ist etwas Einzigartiges.

Wenn der Leidensdruck hoch ist, erschonen schon drei Tage Wochenende viel zu lang. Wo sonst erhält man die Chance, so intensiv sein Leiden zu durchdringen? Der Psychoanalytiker Daniel Dorman behandelte die Schizophrenie-kranke Catherine Penney über Jahre fünf- bis sechsmal pro Woche: „Sie hat niemals einen Termin ausfallen lassen“, sagt Dorman in dem Film „Take these broken wings“ (Youtube).

„Das hätte ich nirgendwo sonst begriffen“

Immer wieder erlebe ich in meiner Lehranalyse Stunden, in denen ich ungeheure Entlastung erfahre, weil ich etwas begreife, das mir zuvor immer ein absolutes Rätsel war. Was ich da verstanden habe, hätte ich wahrscheinlich in keiner Universität, aus keinem Buch, auf keiner Reise und von keinem Partner gelernt. Dieses tiefe emotionale Verstehen ist in dieser Dichte vielleicht nur in einer Psychoanalyse möglich. Vielleicht nirdendwo sonst stellt sich ein anderer Mensch einem viermal pro Woche in dieser speziell aufmerksamen Weise zur Verfügung, um die eigene psychische Welt zu erkunden und die Befreiung aus der inneren Hölle Stück für Stück zu ermöglichen.

In vielen Stunden gehen innerlich Fenster auf, die bisher verschlossen waren.

In einer vierstündigen Analyse wird zuweilen eine unbarmherzige Enge geschaffen, der man nicht entfliehen kann. Diese Enge spiegelt die innere Enge wider. Der Patient kann die Enge in der Sitzung aktuell erleben. Jedes neue Fensterchen, das sich öffnet, hat für den Einzelnen einen unschätzbaren Wert. Innerlich kann man aufatmen. In der vierstündigen Psychoanalyse fühlt sich dieses Begreifen meistens kontinuierlicher an als in einer zeitlich weniger intensiven Analyse. Es fühlt sich für mich auch an, als könnte sich die Veränderung besser in meiner Seele einfinden, wenn ich vier Stunden pro Woche Analyse habe. Ich fühle mich mit meinen Ängsten in der vierstündigen Analyse einfach besser gehalten.

Ebenso ergeht es mir in meiner Rolle als (angehende) Analytikerin: Wenn ich viermal pro Woche hinter der Couch sitze, erfasse ich die quälenden Zustände und Beziehungsprobleme des Patienten deutlich besser, als wenn wir uns nur dreimal pro Woche sehen. Viermal pro Woche Psychoanalyse bedeutet, dass man den überwiegenden Teil der Woche in Analyse ist.

„Morgen sehen wir uns ja wieder“

In der Psychoanalyse entsteht regelmäßig die Situation, dass altbekannte, extrem schwierige Gefühle und innere Zustände auftauchen. Innerer Aufruhr, innere Abgründe, unaushaltbare Ängste, Verzweiflung, Verletzungen, Enttäuschungen, Verlorenes, Verpasstes, psychische Schmerzen und Probleme können ganz genau wahrgenommen werden. Man fühlt alles sehr stark, man erkennt die Spannung und die ungelösten Probleme und will sie los werden. Die Probleme werden in der Psychoanalyse ganz deutlich – viel deutlicher, als es einem lieb ist.

Daraus entsteht eine große Spannung, denn es ist noch nicht klar: „Wie sieht die Erklärung oder Lösung aus? Wird es überhaupt eine Lösung geben?“ In niederfrequenten Therapien muss man sich manchmal tagelang mit dieser Spannung herumschlagen, bis sie in der nächsten Sitzung gelindert werden kann. Wenn man schon am nächsten Tag wieder zur Psychoanalyse geht, kann die Arbeit fließen. Die Analyse ist weich. Man gelangt viel schneller wieder in ruhiges Fahrwasser, als wenn man einen über den anderen Tag auf die nächste Stunde warten muss.

Als Analysand ist man oft auch mutiger, Problematisches zu inszenieren oder anzusprechen, eben weil man spürt, dass man es durch die regelmäßigen Kontakte wagen kann. Umgekehrt kann der Analytiker es eher wagen, Hochproblematisches zu bearbeiten, wenn man sich viermal pro Woche sieht. Wer große Angst vor Nähe, emotionaler Berührung und Beziehung hat, kann in der Psychoanalyse diesem Problem begegnen wie vielleicht nirgends sonst.

Hochfreuuente Psychoanalyse ist ein bisschen wie Leistungssport oder das Erlernen eines Instruments

Manchmal erinnert mich die vierstündige Psychoanalyse an das intensive Erlernen eines Instruments oder an einen Hochleistungssport. Es gibt Strecken, da scheint man nicht vorwärts zu kommen. Vieles erscheint fraglich, zweifelhaft und macht Angst. Und dann kommt wieder eine Phase, in der Analysand und Analytiker Neues verstehen. Beide können darüber tiefe Freude empfinden.

Häufig bemerkt man in der Psychoanalyse aber auch stille Veränderungen – man kommt in eine Situation, die einem früher Probleme bereitete und merkt auf einmal: Das Problem besteht nicht mehr. Man hat sich verändert und weiß gar nicht so richtig, wie diese Veränderung zustande kam. Doch spürt man, dass es irgendwie mit der Analyse zu tun hat. Das sind die Momente, in denen man deutlich spürt, wie tiefgreifend und subtil die Psychoanalyse gewirkt hat.

„Mit einer Analyse vier Stunden pro Woche fühle ich mich wie beschützt und begleitet. Es fühlt sich an, als trüge ich einen warmen, sicheren Mantel. Bei nur drei Stunden pro Woche ist dieses Gefühl weg – dann fühlt es sich an, als hätte ich einen löchrigen Mantel an.“ So formulierte ich es in der Ausbildung selbst einmal.

Schlechte Verläufe

Bei der Psychoanalyse ist es – wie überall – wichtig, dass man die eigenen Gefühle berücksichtigt. Nicht jede Psychoanalyse tut gut. Viele quälen sich lange in einer unguten Analyse herum, weil sie glauben, der Fehler läge nur bei ihnen oder sie selbst seien ja die „Gestörten“. Das ist oft eine schwierige Situation, denn je nach Vorerfahrung erlebt man vieles wieder durch eine ähnliche Brille wie früher, sodass man zum Beispiel den Analytiker als feindselig erleben kann, obwohl er sich ganz und gar nicht feindselig verhält oder fühlt.

Wie es zu dem Erleben kommen kann, ist nicht immer leicht herauszufinden. Doch man darf ruhig seinem eigenen gesunden Kern vertrauen, der immer da ist, und sei er auch noch so klein. Wer längerfristig Zweifel an seiner Analyse hat, sollte sie ernst nehmen und wenn möglich mit dem Analytiker, aber möglicherweise auch mit anderen Fachkundigen, darüber sprechen. Analyse ist nicht gleich Analyse. Bei einem anderen Analytiker kann sich die Psychoanalyse komplett anders anfühlen.

Wann ist eine hochfrequente analytische Psychotherapie sinnvoll?

„Woran erkennst du eigentlich, ob jemand eine Kurzzeittherapie oder eine hochfrequente Psychoanalyse braucht?“, fragt eine Freundin. „Wenn Dein Sohn, der bisher nie besonders ‚auffällig‘ war, durch eine Prüfung fällt und dann Prüfungsangst bekommt, ist das wahrscheinlich ein begrenztes Problem. Während ich mit ihm spreche, merke ich, dass er ansonsten stabil und glücklich ist. Hier wird eine begrenzte Therapie helfen. Wenn aber die Tochter deiner Nachbarin, bei der schon immer Probleme zu sehen waren, mit undefinierbaren Ängsten und immer wiederkehrenden Wutattacken zu mir kommt, kann ich davon ausgehen, dass die Probleme tiefer liegen.“

Eine hochfrequente Analytische Psychotherapie (AP) findet (im Krankenkassensystem leider nur phasenweise) 4-mal pro Woche im Liegen auf der Couch statt. Der schöne Begriff „Psychoanalyse“ wurde aus dem Wortschatz der Krankenkassen verbannt. Die hochfrequente Psychoanalyse ist dann sinnvoll, wenn schwere Störungen („Frühe Störungen“, „Charakterstörungen“) vorliegen und der Patient viel Halt braucht.

Sobald festgefahrene innere Strukturen verändert werden wollen, ist die hochfrequente Psychoanalyse sinnvoll. Weil der Patient den Analytiker so oft erlebt, kann er ihn sozusagen als neues Objekt in seine Psyche einbauen. An ihm kann er neue, bessere, Erfahrungen machen. Ihn kann er nutzen, um zu erfahren, wie er Beziehungen erlebt und wie er sich selbst in Beziehungen verhält. So können hochkomplexe Veränderungen zustande kommen, die es dem Betroffenen erleichtern, befriedigende Beziehungen aufzubauen.

Immer dann, wenn der Patient viele andere Menschen extrem in seine Probleme einbezieht, kann man davon ausgehen, dass er eine „interpersonelle Abwehr“ benutzt, also innere Probleme übermäßig an anderen Menschen abhandelt. Dies ist ein typisches Phänomen, bei dem eine hochfrequente Psychoanalyse sinnvoll sein kann.

Die Psychoanalytiker Joachim Danckwardt (DPV) und Ekkehard Gattig (DPV) haben ein prägnantes Buch zur Frage der hochfrequenten Psychoanalyse geschrieben: „Die Indikation zur hochfrequenten analytischen Psychotherapie in der vertragsärztlichen Versorgung.“ Auf Seite 17 geben Sie einen Überblick, wann die Hochfrequenz indiziert ist, nämlich dann,
1. wenn „die Symptomatik einer neurotischen Erkrankung durch besondere Störungen in der narzisstischen Selbstwertregulation akzentuiert wird.“
2. wenn „pathogene Phantasien (das heißt unbewusste Konflikte) sich charakterlich fixiert haben und in – oft relativ symptomarmen – Charakterneurosen gebunden sind.“ (Anmerkung Voos: z.B. kann die unterschwellige Phantasie, dass etwas Schlimmes passiert, wenn man nicht sofort reagiert, dazu führen, dass man sich und andere durch überschnelle Reaktionen in Bedrängnis bringt. Da steht dann kein „Symptom“ wie Angst oder Depression im Vordergrund, sondern es zeigt sich der vordergründig „hektische Charakter“, der Probleme für den Betroffenen und alle anderen mit sich bringt.)
3. wenn „die Art der Störungen der seelischen Grundlagen das Angebot einer Sicherheit und Halt währenden Funktion des Analytikers in besonderer Weise erforderlich macht.“ (Anmerkung Voos: Wenn z.B. die grundlegenden Gefühle von Sicherheit, Geborgenheit, Freiheit, Beziehungsfähigkeit so erschüttert sind, dass der Patient es nicht alleine aushält, braucht er die körperliche und psychische Anwesenheit des Therapeuten, um Probleme zu bearbeiten.)
4. wenn „in der Abwehrstruktur Spaltung und projektive Mechanismen überwiegen.“

Einmal, zwei Mal, drei Mal, vier Mal – wieviele Stunden Psychoanalyse pro Woche sind nötig und sinnvoll?

Die Gemüter erhitzen sich, wenn es um die Frage geht: Wieviele Psychoanalyse-Sitzungen pro Woche sind sinnvoll? Die Antwort lautet wie so häufig: Es kommt darauf an. Vielleicht lässt sich diese Frage auch nur von denjenigen ernsthaft beantworten, die die Erfahrung einer vierstündigen Psychoanalyse gemacht haben. Nur wer selbst eine Weile drei, vier oder fünf Stunden pro Woche als Analysand auf der Couch liegt, weiß, wie es sich anfühlt und kann seine Erfahrungen schildern. Manche Patienten sind noch nie mit einer Psychotherapie in Berührung gekommen. Sie leiden unter großen Ängsten und wollen die Kontrolle in jeder Situation behalten. Bei manchen Patienten ist es sinnvoll, mit einer Psychotherapie einmal pro Woche im Sitzen zu beginnen, weil alles andere diese Patienten überfordern würde.

Es kann aber auch sinnvoll sein, gerade bei großen Ängsten mit einer Psychoanalyse mit vier Terminen pro Woche zu beginnen, denn so bauen sich die Ängste in den Pausen nicht wieder so stark auf und können direkt am nächsten Tag abgemildert werden.

Zweimal pro Woche

Ist die Beziehung gewachsen, spüren vielleicht sowohl der Patient als auch der Therapeut, dass eine höhere Frequenz pro Woche „mehr bringt“. Es kommen neue Themen auf, wenn die Therapie zweimal pro Woche stattfindet. Der Patient spürt vielleicht in diesem neuen Rhythmus mehr Halt, aber auch eine stärkere „Einengung“. „Mir ist das schon fast zu viel“, sagen manche Patienten. Der Patient gibt vor, was ihm gut tut und was er braucht. „Mir ist das zu wenig“, sagen andere.

Psychoanalytische Therapie im Sitzen oder im Liegen

Viele Patienten brauchen erst einmal den Blickkontakt zum Therapeuten. Wie sieht er aus? Wie reagiert er auf das, was ich sage? Der Blickkontakt, die Mimik und Gestik des Therapeuten sind für viele Patienten sehr wichtig und haben einen therapeutischen Effekt. Ähnlich, wie die Mutter über die Mimik und die Blicke mit dem Säugling kommuniziert, so kommuniziert der Therapeut im Sitzen mit dem Patienten. Wann schaut er weg, wann sucht er Halt im Blick? Vielen Patienten ist es wichtig, das Bild des Therapeuten sozusagen in ihre Psyche aufzunehmen, bevor sie sich auf die Couch legen können.

Psychoanalyse: Drei- oder viermal pro Woche im Liegen

Werden die Patienten nicht mehr allzu stark von ihren Gefühlen und Phantasien überwältigt, können sie zu einem gewissen Maße vertrauen und Kontrolle abgeben, dann wechselt das Setting oft vom Sitzen zum Liegen. Der Patient legt sich auf die Couch und der Analytiker sitzt hinter ihm. Und jetzt geht es häufig um die Frage: Was ist besser? Die dreistündige oder die vierstündige Psychoanalyse?

Die vier- und fünfstündige Psychoanalyse (= vier bis fünf Termine pro Woche) wird als „hochfrequente“ Psychoanalyse bezeichnet. Manche bezeichnen auch schon eine Analyse mit drei Terminen pro Woche als „hochfrequent“. Aus meiner Sicht spricht man dann von einer hochfrequenten Psychoanalyse, wenn der überwiegende Teil der Woche mit einer Sitzung gefüllt ist (also z.B. vier Tage „mit“ und drei Tage „ohne“ Sitzung). Letzten Endes kommt es darauf an, was man als Analytiker und als Patient selbst erfahren hat und wie man die Drei-, Vier- und Fünfstündigkeit empfindet.

Die eigene Erfahrung zählt

Zur Frage der „Drei- oder Vierstündigkeit“ hat jeder andere Ansichten. Manchmal wird nur theoretisch darüber diskutiert. Doch um darüber sprechen zu können, muss man als Psychoanalytiker und als Analysand selbst die Erfahrung der Drei- und Vierstündigkeit gemacht haben. Die Erfahrungen hängen natürlich auch von der Person des Analytikers, von der Tiefe des eigenen Traumas, von der Passung zwischen Patient und Analytiker sowie der Qualität der Arbeit des Analytikers ab.

Manchmal erinnert die hochfrequente Analyse an die Arbeit eines Tierfilmers: Man muss Stunden, Tage, Wochen auf der Lauer liegen, bis man einen bestimmten Moment vor die Linse bekommt. Nur mit dieser Geduld gelingt es, entscheidende Momente zu erblicken.

Mehr im Fluss

Die dreistündige Analyse geht aus meiner Sicht etwas „holpriger“ vonstatten als die vierstündige. Bei einer dreistündigen Analyse erhält der Patient zum Beispiel montags, mittwochs und freitags Impulse. Dazwischen ist immer ein Tag, an dem man in ein Loch fallen kann. Oder aber das Wochenende erscheint zu lang. Die vierstündige Analyse kann den Analysanden noch besser halten und die Veränderungen verlaufen glatter. Die Analyse von Träumen ist zudem oft effektiver, wenn der Patient direkt nach der Traumnacht eine Sitzung hat. Viele empfinden es so, dass die Veränderungen durch die vierstündige Analyse tiefgreifender und stabiler sind als bei einer dreistündigen Analyse.

Verwandte Artikel in diesem Blog:

Links:

Karl-Heinz Henze, Sabine Stein, Dagmar Bielstein, Karla Hoven-Buchholz:
Drei oder vier Stunden – das ist hier die Frage
Zur Stundenfrequenz in psychoanalytischen Behandlungen
Forum der Psychoanalyse, Verlag Springer Medizin, Ausgabe 1/2002

Joachim F. Danckwardt und Ekkehard Gattig (1996):
Die Indikation zur hochfrequenten analytischen Psychotherapie in der vertragsärztlichen Versorgung.
www.frommann-holzboog.de/autoren/joachim_f_danckwardt

In der Frühjahrstagung der Deutschen Psychoanalytischen Vereinigung (DPV) 2018
Warum wir hochfrequent ausbilden und behandeln
Dozentin: PD Dr. med. Claudia Frank, Stuttgart
Tagungsort: Goethe-Universität – Campus Westend – 60323 Frankfurt

Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 11.4.2014
Aktualisiert am 18.11.2025

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