Wie werde ich Psychotherapeut*in/Psychoanalytiker*in? 114 Die Angst des Psychotherapeuten vor dem Patienten
„Du hast ja Angst vor Deinem eigenen Baby!“, wird Müttern manchmal vorgeworfen. In der Tat können Babys mit ihrer Unersättlichkeit Angst machen: „Was, wenn ich Fieber habe und mein Baby nicht versorgen kann?“, denkt die Mutter. Enge Zweierbeziehungen können sehr einengen. Gerade, wenn ich als angehende Psychotherapeutin/Psychoanalytikerin selbst frühtraumatisiert bin, kann ich erneut erleben, wie gefährlich eine enge und abhängige Beziehung werden kann. Wenn Angst und Wut aufkommen, lässt die Mentalisierungsfähigkeit nach – ich bin damit beschäftigt, mich selbst zu schützen. Die Kunst ist es, in der Therapie weiterhin mentalisierungsfähig zu bleiben, auch, wenn man gerade Angst hat oder von Aggression überwältigt ist.
Mutter und Kind, Partner und Partnerin, Patient und Therapeut sitzen nicht selten in einem Boot. Hier ist es besonders wichtig, etwas Drittes zu haben – einen guten Supervisor oder eine Freundin, die auch eine psychotherapeutische Ausbildung macht. Dieses „Dritte“ bringt Abstand in die Enge.
Das Wichtigste ist vielleicht das „Ja“ zu der Angst. Es gibt verschiedene Gründe, warum ein Psychotherapeut Angst vor seinem Patienten haben kann:
- Eine sehr konkrete Angst: Ein Patient ist aggressiv oder schwer psychotisch und ich bin allein mit ihm in einem Raum. Schon manches Mal habe ich mir eine Art „Notknopf“ unter dem Psychotherapeutensitz gewünscht, den man drücken könnte. Hier kann es hilfreich sein, in einer Gemeinschaftspraxis zu arbeiten oder zu wissen, dass noch jemand nah im Haus ist, der helfen könnte. Dem eigenen Kompass zu folgen, ist wichtig: Fühlt sich etwas zu gefährlich an, muss man die Sitzung beenden, eventuell auch die Therapie.
- Angst vor der eigenen Wut: „Meine Patientin kommt schon mit einem verachtenden Blick in die Praxis.“ So etwas kann auf Dauer zermürben, gerade in einer Analytischen Psychotherapie. Manchmal kommt die Angst schon, wenn man dem Patienten nur die Tür öffnet. So viel Kritik und Verletzungen werden in dieser Stunde wieder kommen – das ist sicher. Hier kann man sich immer wieder vedeutlichen, dass wahrscheinlich der Patient selbst massiv kritisiert und entwertet wurde. Er bringt uns in ein Gefühl, das er selbst kennt.
- Angst davor, der Patient könnte die Therapie abbrechen, was in der Ausbildung dazu führt, dass man mit einem neuen Fall anfangen müsste. Hier kann man nur gemeinsam mit den Kollegen daran arbeiten, dass sich die Ausbildungsrichtlinien ändern, denn wenn Patienten „mindestens 250 Sitzungen“ bleiben müssen, ist das eine unmögliche Situation.
- Angst vor Traumatisierung und Retraumatisierung: das Zusammensein mit dem Patienten kann uns an frühe eigene traumatische situationen erinnern. wir können getriggert werden. eine gute lehranalyse kann hier enorme freiheit schaffen, doch traumatisierungen durch den patienten können immer wieder vorkommen. das lässt sich manchmal in die eigene „lebensmeditation“ aufnehmen. die beschäftigung mit dem eigenen körper, yoga oder Ähnliches können helfen. es kann auch hilfreich sein, weniger patienten anzunehmen und sich mehr freiräume zu schaffen. die eigene kreativität ist ebenso hilfreich wie die beschäftigung mit psychoanalytischen theorien.
- hinzu kann die angst davor kommen, man könnte sich in den patienten verlieben oder umgekehrt – wie damit umgehen? wie das halten? wie mit dem supervisor darüber sprechen?
- nicht zu verachten sind auch psychosenahe ängste: was, wenn ich das gefühl habe, der Patient macht sich psychisch in mir zu breit? was, wenn der patient etwas von mir träumt, das stimmt? die sorge, dass das, was man selbst mit dem patienten erlebt, „zu krank“ sein könnte für die ausbildung, hindert sicher viele daran, darüber zu sprechen, was wirklich vor sich geht.
ohnmacht und angst nicht wegreden zu wollen, ist vielleicht das Wichtigste. Die angst vor dem patienten hängt ab von den eigenen kindheitstraumata und der schwere und art der traumata des patienten. meistens bringt die zeit gute antworten mit sich.