Ich und mein Körper: Wir werden alt

Eines Morgens hörte ich im Deutschlandfunk einen Essay, der davon handelte, dass kaum jemand etwas über den alternden Körper der Frau schriebe. Erst wenn man bei der Google-Suche das Wort „Altern“ durch „Alzheimer“ ersetze, könne man fündig werden. Und ich dachte darüber nach, wie es eigentlich ist mit dem Altwerden. Häufig habe ich das Gefühl, im Außen nicht das zu finden, was ich selbst erlebe. Da loben viele das Buch von Sheila de Liz: „Woman on Fire“ (Rowohlt, 17. Auflage 2023). Beliebt ist auch die Apothekerin und Hormoncoachin Ann-Katrin Pause.

Ich höre die Schauspielerin Marianne Sägebrecht (Planet Interview) irgendwo sagen, dass sie jede Falte willkommen heiße. Ich habe Freunde, die sagen, dass sie sich viel jünger fühlen als sie sind. Und ich denke: Was mache ich falsch, dass ich nicht das Wunderbare fühlen und erleben kann, von dem so viele sprechen?

„Ich möchte mein altes Ich zurück“, lese ich von einer Frau in einem Forum über Wechseljahre und denke: So ist es. Es ist, als ob sich das Ich völlig verwandelt, ohne dass man weiß, wie einem geschieht. Plötzlich zeigt sich das Alter. Die Spuren der Kindheit werden oft besonders an den Zähnen sichtbar. Wer keine Implantate möchte, weil man sich vor Entzündungen und Fremdkörpern fürchtet, findet kaum noch Infos zu klassischen Teilprothesen. Auch, wenn sie gewöhnungsbedürftig sind, so sind sie doch immer noch eine gute Möglichkeit, vor allem dann, wenn man sich – so wie ich – das Versprechen geschenkt hat, sich nie wieder einer Wurzelbehandlung zu unterziehen.

Todesmanagement im Leben

Die Einladungen zu den Vorsorgeuntersuchungen schneien herein. Wie schlecht fühlt man sich, wenn die Flyer im Papiermüll landen und man sich sagt: Ich möchte meinen eigenen Weg dazu finden. Der Gedanke an Sterben und Tod wird vertrauter, vor allem, wenn man nachts zur Toilette geht.

„Wo find ich Armer Arzenei?
Wer stehet mir in meinem Elend bei?
Wer ist mein Arzt, wer hilft mir wieder?“
Bach-Kantate BWV 25: „Es ist nichts Gesundes an meinem Leibe“
https://youtu.be/n7McI9GAxK8?si=xf57vGF8Ot87zl3E

Im Autoradio kommt man bei WDR4 an und nutzt die frühen Morgenstunden für die wichtigsten Aufgaben, weil ab mittags die Kraft ausgeht. Das Haarefärben muss immer öfter geschehen, weil sich der Ansatz nun alle drei Wochen in vollem Weiß zeigt. Also gibt man auf und kann vielleicht das Argument nutzen, dass es mögliche Zusammenhänge zwischen Haarefärben und Krebs gibt (z.B. Yawei Zhang et al., 2012).

Altwerden und Krankwerden werden immer mehr Eins. Was früher nur Hypochondrie war, zeigt sich jetzt am Blutdruckmessgerät, im Ultraschall oder am Pulsoxymeter als Wirklichkeit an. Man lernt, bei sich selbst Zucker und Harnsäurewerte zu messen. Die Waage macht auch, was sie will. Dann fühle ich mich erneut wie angezogen vom medizinischen Vorsorge-Fluss, der kaum zu stoppen ist und entscheide wieder: So ein Leben will ich nicht führen. Ich habe Hände, die tasten und Augen, die sehen, sodass ich mich in Grenzen gut selbst untersuchen kann. Bis ich dann wieder irgendetwas Neues am Körper feststelle, das mich zu neuen Untersuchungen laufen lässt.

Der Körper – macht er, was er will? Wir bauen eine Beziehung auf.

Der Körper wirkt manchmal wie eine Bedrohung: Nachts kribbeln plötzlich die Arme oder gar die Schulter und die Zunge. Es kommen Kopfschmerzen hinzu, die wochenlang nicht vergehen wollen und der Gedanke, es könnte eine Strafe sein für alles, für das man sich schuldig gemacht hat, taucht auch. Besonders gegenüber den eigenen Eltern und Kindern kann man sich sehr schuldig fühlen. Auch in unserem befreiten und wissenschaftlich aufgeklärten Zeitalter spielen solche Schuld-Ängste wie eh und je eine Rolle.

Der Körper erzählt mir eine Geschichte. Also höre ich gut zu.

Dann aus heiterem Himmel Gicht. Trotz täglicher Bewegung, Meditation und vegetarischer Kost ohne Alkohol. Der Zeh des einen Fußes wird zur Hölle, während die Ferse des anderen Fußes schon seit Wochen das Auftreten erschwert. Wie also laufen? Ok, der handfeste Schmerz kann immer noch besser sein als eine Neuronitis vestibularis, ein Ausfall des Gleichgewichtssystems, der das Laufen auf andere Art so gut wie unmöglich macht.

Die Finger nehmen die Form der Finger der eigenen Oma an. Die Schulmedizin bietet Cortison und Biologika, also sucht man nach Alternativen.

Der Hormonmangel, der gar keiner ist

Gleichaltrige Freundinnen empfehlen mir Hormone – zumindest eine Progesteron-Salbe, um den Schlafmangel zu beheben. Doch auch hier möchte ich nicht eingreifen. Ich sage immer nur: Nein, nein, nein. Aber es bestehe doch ein Hormonmangel! Nein – die Hormone gehen im Alter natürlicherweise zurück. Ein Mangel wäre es nur, wenn man auf dem Stand des früheren Alters bleiben wollte.

Nun richte ich mir das Leben im Alter ein. Zum Beispiel durch einen Umbau des Büros. Neben dem normalen Schreibtisch steht nun auch ein Stehtisch sowie ein Tisch am Boden. Denn wenn wir alt werden, nähern wir uns dem Boden an: die Gefahr der Stürze wächst. Also ist es mir wichtig, gelenkig zu bleiben und die Knie- und Hockhaltung nicht zu verlernen. Auch entdecke ich mit Freude, dass Steh- bzw. Hocktoiletten auch hierzulande immer beliebter werden.

Das Altern ist unangenehm, voller Ängste und Schrecken: Wie soll das noch werden? Wenn es überhaupt noch werden wird? Ich bin neugierig darauf, was die Natur so zu bieten hat. Egal, was kommt: Ich habe immer die Wahrheit. Ich möchte erfahren, wie das geht: Altern ohne Aktionismus.

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2 thoughts on “Ich und mein Körper: Wir werden alt

  1. Dunja Voos sagt:

    Liebe AnnaLenaSchmidt,
    ich freue mich sehr über Ihren Kommentar – besonders auch darüber, dass Ihnen die Idee mit dem Tisch am Boden gefällt :-)
    Ja, auch ich finde, dass sich Frauen oft unattraktiver machen, wenn sie versuchen, sich jünger zu machen.
    Viele Grüße,
    Dunja Voos

  2. AnnaLenaSchmidt sagt:

    Vielen Dank für Ihren Beitrag! Ich bin überhaupt nicht glücklich, wie mit dem Altern von Frauen umgegangen wird. Es heißt immer, dass Männer mit dem Alter attraktiver werden – und Frauen verfallen, sobald sie nicht mehr gebärfähig sind. Ich habe schon früh mein erstes graues Haar bekommen und mir war klar, ich werde nicht färben – ich werde schon aus Prinzip nicht damit anfangen. Ich will altern. Ich will nicht ewig leben. Ich will vergehen. Ich will nicht vor dem Tod davonlaufen. Ich bin stolz auf meine Falten – vor allem, weil es trotz einer schweren Vergangenheit Lachfalten sind und keine Zornfalten. Ich habe schon so viele schöne ältere Frauen gesehen – vor allem finde ich diejenigen schön, die nicht versuchen, sich jünger zu machen. Kein Hund käme auf die Idee, sich seine graue Schnauze zu färben. Die Idee mit dem Tisch am Boden gefällt mir – danke dafür!

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