„Ich verklage Sie!“ Wenn Patienten oder Angehörige dem Psychotherapeuten drohen

In der Psychotherapie gerade schwer kranker Patienten kann das vorkommen: Der Patient unternimmt einen Suizidversuch und will den Therapeuten verklagen, weil er ihn in den Wahnsinn getrieben hätte. Was aus der Distanz eher absurd aussieht, kann sich für den Psychotherapeuten in der Beziehungsdynamik sehr bedrohlich anfühlen. Der Patient möchte den Therapeuten – bildlich gesprochen – „umbringen“. Er möchte ihm beruflich schaden, aber er möchte auch die Hand, die ihm hilft, wegstossen. Natürlich gibt es auch in Psychotherapien Situationen, in denen Patienten ihre Psychotherapeuten berechtigterweise verklagen wollen (z.B. bei sexuellem Missbrauch), doch in diesem Beitrag soll es um die Bedeutung von Anklagen, Beklagen und Verklagen gehen in Therapien, in denen bereits gute Entwicklungsschritte zu erkennen waren.

Für viele schwer Traumatisierte war es nie leicht, schlecht über die Eltern zu sprechen, ihnen gegenüber Aggressionen zu empfinden bzw. zu zeigen oder sie offen anzugehen. Die Eltern sind auch ein Teil von uns selbst und ein Angriff auf sie kann psychisch mit einem Angriff uns selbst angesehen werden.

Schwer traumatisierte Menschen erlauben sich oftmals erst in der hochfrequenten Psychotherapie, offen gegen die nächste Bezugsperson, also oft den Therapeuten, aggressiv zu werden. Jahrelang aufgestauter Hass, aber auch Neid auf das eigene Leben des Therapeuten (im Sinne Melanie Kleins) und auf das „Davonkommen“ bisheriger Täter können eine Rolle spielen, wenn der Patient den „Wunsch“ oder das Vorhaben äussert, den Psychotherapeuten zu verklagen.

Intensive Psychotherapie kann in gewisser Hinsicht für den Therapeuten und den Patienten gefährlich werden. „Was ist hier noch wahr?“, kann die bange Frage lauten. Die Patienten klagen den Psychotherapeuten an, „Gehirnwäsche“ betrieben zu haben, sich nur bereichern zu wollen, zu viel versprochen zu haben, ihn in die emotionale Abhängigkeit geführt zu haben und vieles mehr. Es können hartnäckige Übertragungspsychosen entstehen. Als Therapeut kann man bei sich selbst vielleicht einen Verfolgungswahn feststellen, der dem Verfolgungswahn des Patienten ähneln kann. Dem Patienten kann es gelingen, sein Inneres sozusagen in das Innere des Therapeuten zu legen. Auch, wenn man sich als Therapeut verdeutlicht, dass es sich um projektive Identifizierung handeln kann, was als frühe Kommunikationsform wertvoll sein kann, so bleibt doch oft die Beunruhigung und der Gedanke: Kann ich diese Psychotherapie hier weiterführen?

Manchmal kann man dem Patienten dazu verhelfen, die Aggressionen besser zu verorten und die eigenen Aggressionen als Therapeut selbst gut zu containen. Manchmal kann man jedoch nur wie in alten Zeiten während eines „Fieberschubs“ neben dem Bett sitzen, versuchen zu verdauen und zu beten, dass der Fieberschub vergeht. Und manchmal leiden Psychotherapeuten unter einem jahrelangen Rechtsstreit, der dann manchmal tatsächlich zur Berufsaufgabe führt. Als Psychotherapeut kann man nicht alle Angriffe psychisch (oder auch körperlich) überleben. An erster Stelle steht der Selbstschutz und eine Therapie aufgrund einer zu starken Bedrohung zu beenden, kann oft der richtige Weg sein. Meistens aber führen viele dieser Situationen zu mehr Weisheit.

Verwandte Artikel in diesem Blog:

Links:

Dealing with Threatening Client Encounters
APA Practice Organization
https://www.apaservices.org/practice/good-practice/client-encounters.pdf
„The APA Ethical Principles of Psychologists and Code of Conduct (“Ethics Code”) specifically allows for termination of therapy in potentially dangerous situations. Section 10.10(b) states: “Psychologists may terminate therapy when threatened or otherwise endangered by the client/patient or another person with whom the client/patient has a relationship.” Section 10.10(c) further states that the usual requirements for ethical termination, which include pre-termination counseling and suggesting alternative service providers as appropriate, would not apply “where precluded by the actions of clients/patients.”

Jennifer A Erickson Cornish et al. (2019):
Psychotherapists in danger: The ethics of responding to client threats, stalking, and harassment.
Psychotherapy (Chic) 2019 Dec;56(4):441-448. doi: 10.1037/pst0000248.
https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/31414855/

Sebastian T. Vogel:
Ärztliches Fehlverhalten: Diese Sanktionen können drohen
Dtsch Arztebl 2022; 119(9): A-396 / B-324
https://www.aerzteblatt.de/archiv/223708/Aerztliches-Fehlverhalten-Diese-Sanktionen-koennen-drohen

Irena Medau et al. (2012)
Behandlungsfehler in der Psychotherapie: ein empirischer Beitrag zum Fehlerbegriff und seinen ethischen Aspekten
Ethik in der Medizin, Volume 26, pages 3–18, (2014)
https://link.springer.com/article/10.1007/s00481-012-0231-7

Ben Caldwell:
Therapists – How to Stay Safe
January 16, 2024
https://www.simplepractice.com/blog/clients-who-threaten-therapists-how-to-stay-safe/

Benjamin Caldwell (2022):
Clients Who Threaten Therapists
https://learning.simplepractice.com/courses/clients-who-threaten-therapists

Paul Renn:
A Relational Perspective on Enactments, Boundary Violations and Self Disclosure
25.11.2020
https://www.therapyroute.com/article/a-relational-perspective-on-enactments-boundary-violations-and-self-disclosure-by-p-renn

Schreibe einen Kommentar