
„Off the couch, into the toilet: exploring the psychic uses of the analyst’s toilet“ – so nennt die britische Psychoanalytikerin Alessandra Lemma ihren Beitrag über die Bedeutung der Toilette in der Psychoanalyse. Sie beschreibt, auf welche unterschiedliche Weise verschiedene Patienten die Toilette des Psychoanalytikers nutzen und wie die Nutzung in der Analyse verstanden werden kann.
Die Toilette des „Anal-ytikers“
„Sie dürfen diesen Text nicht veröffentlichen. Grund: verdächtiger Inhalt“. Diese Fehlermeldung erhielt ich einst auf einem Internet-Portal, nachdem ich das Wort „Psychoanalyse“ geschrieben hatte. Der Wortteil „anal“ wurde als „verdächtig“ eingestuft.
Während der eine Patient mit einem Reizdarmsyndrom die Toilette ständig und plötzlich benutzt, kommt eine andere Patientin zwei Jahre lang in die Analyse, ohne überhaupt zu registrieren, dass es in der Praxis eine Toilette gibt. Für die Patienten ist die Toilette nicht einfach eine „Praxis-Toilette“, sondern „die Toilette des Analytikers“. „Auf der Toilette lassen wir Dinge raus, die wir vor niemand anderem rauslassen würden“, schreibt Lemma.
Der Körper ist König
Die Toilette spiegelt wider, wie sehr wir uns unter der „Herrschaft des Körpers“ befinden – mit all seinen „Unannehmlichkeiten, Sekreten, Öffnungen und Gerüchen“. Die Toilette hat eine besondere Bedeutung, sie ist „in den Gedanken des Patienten kein neutraler Ort“, schreibt Lemma. Gleichzeitig ist die Toilette aber doch ein neutraler Ort, der nicht wertet, nicht urteilt. Alles ist erlaubt. Es wäre so schön, wenn der Analytiker auch so empfunden werden könnte: als ruhig, aufnehmend, „sauber“.
Wenn der braune Dreck weg muss, aber nicht ausgesprochen werden kann, bleibt oft nur noch die Toilette. Unbewusste Phantasien können sehr kompliziert sein.
Was Patienten nicht in die Beziehung zum Analytiker einbringen können, tragen sie möglicherweise in die Toilette. Sie befreien sich wortwörtlich von dem, was in ihnen ist und was sie als nicht akzeptabel empfinden. In der Toilette landet der „dreckige“ Teil des Selbst. Besonders Patienten, die die Beziehung zum Analytiker „rein“ halten wollen, gehen lieber auf die Toilette, bevor ihre für sie nicht akzeptablen Gedanken und Gefühle aus ihnen herauslaufen.
Angst
Wer zur Toilette muss, ist in dem Moment „nicht ganz dicht“. Oft spielen große Ängste dabei eine Rolle, das nicht-Akzeptable nicht länger bei sich zu halten. Manchmal befürchten die Patienten, sie könnten mit dem, was in ihnen ist, dem Analytiker Schaden zufügen. Dabei ist ihnen zunächst oft gar nicht bewusst, wie genau diese „dreckigen“ seelischen Inhalte aussehen. Der körperliche Inhalt spiegelt den seelischen Inhalt wider.
Von sich geben und für sich behalten
Für kleine Kinder ist es ein großer Gewinn an Freiheit, wenn sie Herr über ihre körperlichen Inhalte werden und selbst entscheiden können, wann sie etwas von sich geben und wann sie es „für sich“ behalten. Sie erreichen somit ein neues Stadium der Autonomie, in dem ihnen auch bewusst wird, dass sie selbst und andere einen privaten Raum brauchen.
Interessant dabei ist, dass die Worte „Sekret“, also „Ausscheidung“, und „secret“, also „geheim“, zusammenhängen. Was wir zurückhalten, ist unser Geheimnis.
Aufgeladen
Wenn Eltern zu aufdringlich sind, und ihren Kindern keine Privatsphäre gönnen, wenn sie immer wieder die körperlichen und psychischen Grenzen des Kindes durchbrechen, dann kann das Kind unter Umständen eine (erotisch) aufgeladene Beziehung zu seinen Ausscheidungen bekommen. Menschen, denen es so geht, empfinden oft tiefste Scham darüber. Das zur Sprache zu bringen, erfordert so viel Mut, dass es über die eigenen Kräfte gehen kann. Ist das nicht mehr auszuhalten, bleibt ihnen manchmal nur noch die Flucht auf die Toilette. Doch langsam können die Hintergründe in der Analyse zur Sprache gebracht werden, was häufig dazu führt, dass der Drang, zur Toilette zu gehen, nachlässt.
Auf der Toilette sind alle gleich
Die Phantasien, die auf der Toilette entstehen, drehen sich oft um die Themen Grenzen und Grenzenlosigkeit, um Beobachten und Beobachtetwerden. So sehr die Patienten darunter leiden, während der Stunde auf die Toilette gehen zu müssen, so kann auch ein kleiner „Lustgewinn“ darin verborgen sein: In dem Moment der Getrenntheit können sich Analytiker und Patient in der Phantasie ganz nah sein. Phantasien um Nacktheit und Gleichheit können auftauchen.
Die Toilette nimmt den Schmutz auf
Die Toilette dient dem Patienten dabei auch als „Container“ für seine Inhalte, die er vor dem Analytiker nicht loswerden kann oder möchte. Sie kann als erste Stufe zu einer weiteren Entwicklung dienen. Sobald die Patienten die Toilette des Analytikers als sicheren Container wahrnehmen, kann es im Laufe der Zeit dazu kommen, auch den Analytiker als sicheren Ort und Container für aggressive und abstoßende psychische Inhalte zu nutzen. Will heißen: Der Patient traut sich mit der Zeit möglicherweise immer mehr, über seine peinlichen, abstoßenden, ekeligen, schambesetzten und aggressiven Gedanken und Gefühle mit dem Analytiker zu sprechen. Alessandra Lemma schreibt am Ende:
„The physical space of the toilet provides a safe container where parts of the self felt to be dirty and unacceptable leak out through body waste and its odors before they can become integrated into the analytic relationship.“
„Der physische Raum der Toilette stellt einen sicheren Container dar, in dem die Teile des Selbst, die als dreckig und inakzeptabel empfunden werden, in Form von körperlichen Ausscheidungen und Gerüchen nach außen gelangen, bevor sie in die analytische Beziehung integriert werden können.“ (Alessandra Lemma: „Off the couch, into the toilet“)
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Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 10.12.2015
Aktualisiert am 21.5.2022
Christianius meint
Guten Abend
Aber Ethisch und moralisch ist das „Benutzen“ eines Menschen fragwürdig Ausrufezeichen
Idealisierung+Abwertung=unreife unrealistische Abwehr
MG :-|