
Bei einer Halluzination sieht oder hört man etwas, was nicht da ist (visuelle oder auditive/akustische Halluzination). Bei einer Halluzination sehe ich also weiße Mäuse. Bei einer „negativen Halluzination“ phantasiert man ein Nichts an der Stelle, wo eigentlich etwas ist. Die demente Oma ist überzeugt davon, dass die Tochter nicht da ist, obwohl sie neben ihr steht. Jemand ist überzeugt, ganz allein zu sein, obwohl nahestehende Personen bei ihm sind.
Schon Sigmund Freud beschrieb den Begriff der negativen Halluzination. Unter Hypnose ist es möglich, Menschen dazu zu bringen, dass sie Dinge nicht sehen, die eigentlich da sind.
Doch es kann auch weniger konkret sein: Das kleine Kind erwartet die Mutter und ist überzeugt davon, dass sie nicht kommt, weil sie vielleicht schon öfter viel zu spät oder gar nicht gekommen ist. Das Baby hat Hunger und „spürt“ die fehlende Brust, weil die Mutter zu lange auf sich warten lässt. Ist die Mutter dann endlich da, dann braucht das Baby eine Weile, um ihre Anwesenheit zu registrieren.
Verarmungswahn kann auch eine Art „negative Halluzination“ sein – ebenso wie das Gefühl, „ganz allein“ auf dieser Welt zu sein.
Auch als Erwachsene kennen wir die „negative Halluzination“: Wir liegen im Bett und spüren vielleicht zunächst den fehlenden Partner, obwohl der da ist. Wenn er nicht da ist, spüren wir seine Abwesenheit schmerzlich. Dieses Grundgefühl des „Fehlens“ kann sich in Leere und Langeweile äußern (Hartocollis, 1977). Darunter leiden besonders solche Menschen, die schon früh die Abwesenheit der Mutter oder des Vaters ertragen mussten.
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Literatur:
Hartocollis, P. (1977)
Affects in borderline disorders.
In P. Hartocollis (Ed.):
Borderline Personality Disorders. The Concept, the Syndrome, the Patient.
New York: International Universities Press, pp. 495-507
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Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 27.7.2015
Aktualisiert am 30.3.2022
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