Der „virtuelle Andere“ nach Stein Braten

Wenn ein Baby nach echtem sozialen Kontakt sucht, nach Berührung und nach der Stimme der Mutter, dann hat es so etwas wie eine „Schablone“ in sich, in die die passende Berührung und Stimme hineingelegt werden soll. Es „weiß“ sozusagen, wie der andere zu sein hat, um zu befriedigen. Der norwegische Soziologe Stein Braten hat hier den Begriff des „virtuellen Anderen“ gesprägt, den der Säugling sozusagen in sich trägt oder den er sich auf gewisse Weise spürt. Wenn die Mutter sich dann von außen nähert und mit dem Säugling im passenden Ton spricht, dann empfindet der Säugling tiefe Befriedigung. Die Mutter entspricht dann dem „virtuellen Anderen“, der zuvor im Säugling war.

Dieser Wunsch nach Kontakt ist angeboren. Ähnlich ist hier auch die Theorie des „Präkonzeptes“ von Wilfred Bion.

Auch das Konzept des „Übergangsobjekts“ von Winnicott ist mit dem Konzept des „virtuellen Anderen“ nach Braten verwandt:

„Das Konzept des virtuellen Anderen lässt sich mit Winnicotts Konzept vom Übergangsobjekt verbinden: danach ist das Übergangsobjekt die Aktualisierung des virtuellen Anderen. Es wird erschaffen für die abwesende Mutter und es vertritt sie: In Zuständen des Alleinseins zieht sich der Säugling auf den virtuellen Anderen zurück; das Übergangsobjekt tritt in die Fußstapfen des virtuellen Anderen. Es wird nach den Bedürfnissen der inneren Vorstruktur des Säuglings mit seinen sozialen Erwartungen geschaffen und eingepasst.“ Michael Kögler: Winnicotts Übergangsobjekt im Lichte der Säuglingsbeobachtung und der Intersubjektivismus. Vortrag am Winnicott-Institut, 1.4.2004 (PDF)

Das Übergangsobjekt vertritt sozusagen den „virtuellen Anderen“. Die Mutter als reale Person tritt dann an die Stelle dieses virtuellen Anderen oder Übergangsobjektes. Sie kommt sozusagen passend für den Säugling mit seinen „Vorstellungen“, Bedürfnissen und „Erwartungen“ daher.

Verwandte Artikel in diesem Blog:

Literatur:

Stein Braten:
Intersubjektive Partizipation: Bewegungen des virtuellen Anderen bei Säuglingen und Erwachsenen
PSYCHE / 2011 / 09

Gerald Hutterer:
Bion – mit Goethe gelesen
Rezension zu Wolfgang Wiedemann: Wilfred Bion. Biografie, Theorie und klinische Praxis des „Mystikers“ der Psychoanalyse. Gießen (Psychosozial Verlag) 2007
Blog „Spuren und Echos“


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