
Es gibt Momente, da wird’s einem ganz komisch. In unangenehmer Weise meint man, neben sich zu stehen. Man fühlt sich dabei völlig isoliert, ohne Bezug zu sich selbst oder anderen. Diesen Zustand nennen Psychotherapeuten „Depersonalisation“. Dieses Gefühl tritt häufig ab der Pubertät auf sowie bei psychischer Anspannung und körperlicher Erschöpfung. Besonders gut kennen es schwer traumatisierte Patienten, z.B. Menschen mit einer Angst- oder Borderlinestörung. Da erscheint einem vielleicht die eigene Hand ganz fremd oder man hört sich lachen und hat das Gefühl, man ist emotional ganz woanders.
Nach ein paar Momenten vergeht dieses Gefühl häufig wieder. Viele behelfen sich, indem sie sich z.B. auf den Oberschenkel hauen, wie um sich selbst aufzuwecken und wieder zu spüren. Das gleiche Fremdheits-Gefühl kann sich auch in Bezug auf die Umwelt einstellen. Alles um einen herum kommt einem dann fremd vor. Das bezeichnet man als „Derealisation“. Oft sind die Zustände „Derealisation“ und „Depersonalisation“ nicht zu trennen – sie treten oft gleichzeitig auf.
Der Psychoanalytiker Paul Federn (1871-1950) beschrieb die Depersonalisation bereits im Jahr 1928 sehr treffend im International Journal of Psycho-Analysis (9: 401-419: Narcissism in the Structure of the Ego, siehe Pep-Web.org): „The outer world appears substantially unaltered, but yet different, not … truly existing and alive, more as if in a dream and yet different from a dream. At heart the patient feels as if he were dead and he feels like this because he does not feel. … And yet the patient knows everything correctly, his faculties of perception, of intellect and of logic have not suffered at all.“
„Die äußere Welt erscheint unverändert, aber doch anders, nicht wirklich existierend und lebendig, sondern eher wie in einem Traum und doch nicht wie im Traum. Der Patient fühlt sich, als sei er tot, weil er nicht fühlt. … Und doch sind sein Wissen, seine Wahrnehmung, sein Intellekt und sein logisches Denken nicht beeinträchtigt.
Paul Federn schreibt auch, dass die von Depersonalisation betroffenen Menschen ihren Zustand als Traum-artig beschreiben, doch im Traum gebe es nicht so ein Fremdheitsgefühl wie bei der Depersonalisation. Auch, wenn im Traum der Wille reduziert zu sein scheint, so gehe dies nicht mit einem Freumdheitsgefühl einher. Es gehe bei der Depersonalisation um die Verfremdung des Willens, um „the alienation of the will. Many of these patients complain of the automatism of their actions, as if they were not aware of any volition. They say that they act as if in a dream. In other contexts depersonalization patients describe the alienated world as dream-like. In actual dreams, however, there is no alienation feeling.“
Ein Symptom, kein eigentständiges Krankheitsbild
Depersonalisation und Derealisation treten bei vielen Menschen in schwierigen Lebensphasen auf, in denen sie besonders angespannt sind. Sobald in einer Psychotherapie die grundlegenden Probleme bearbeitet werden, gehen die unangenehmen Depresonalisations- und Derealisationsgefühle oft deutlich zurück. Besonders empfehlenswert ist meiner Erfahrung nach auch regelmäßiges Yoga über längere Zeit.
Eine Studie aus dem Jahr 2001 mit 1000 Teinehmern zeigte, dass die Depersonalisation bei Frauen häufiger vorkommt als bei Männern (26% vs. 19%). Studienteilnehmer mit chronischen Schmerzen und „unregelmäßigen Kirchenbesuchen“ waren besonders stark betroffen. Hingegen findet sich die Depersonalisation seltener bei älteren Menschen und bei Menschen, die sich in einem Angestelltenverhältnis befinden. (Aderibigbe YA, Bloch RM, Walker WR. Prevalence of depersonalization and derealization experiences in a rural population. Soc Psychiatry Psychiatr Epidemiol. 2001 Feb;36(2):63-9. doi: 10.1007/s001270050291. PMID: 11355447, https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/11355447/)
Und für Kinder und Jugendliche noch eine wichtige Anmerkung des Kinderanalytikers Hans Hopf: „Die Depersonalisation bzw. Derealisation kann auch ein vorübergehendes Geschehen während der Adoleszenz sein. Es wird allzu leicht mit psychotischer Entwicklung verwechselt! Es ist wichtig, den Jugendlichen die Angst vor psychotischer Dekompensation zu nehmen.“
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Trauma liebevoll heilen und innere Balance finden.

Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 4.12.2006.
Aktualisiert am 2.6.2021
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Mandy meint
Leider gibt es das Syndrom auch als chronisches Symptom… Es verschwindet dann leider auch nach Jahren nicht. Ich leide schon mehrere Jahre darunter, gebe die Hoffnung aber nicht auf, dass ich mich eines Tages wieder spüren kann.
In Mainz gibt es eine Klinik, die Menschen mit chronischer Depersonalisation und Derealisation hilft.