
Dieses Gebäude ruft alle Schrecken in mir wieder wach. Der Dunst schlägt mir schon am Eingang entgegen. Im Gebäude der Liebe, der Partnerschaft, der Beziehung, der Ausbildung, der Familie, der „festen Stelle“ ist es sehr dunkel. Und stickig. Es riecht nach Erbrochenem, nach Alkohol, nach Unempathie. „Reiß‘ Dich zusammen und geh da rein; heute ist es etwas völlig anderes!“, sagt eine Stimme in mir. Es riecht nach Schweigen, nach unbarmherziger Mauer, nach Festgehalten-, Alleingelassen- und Ausgestoßen-Werden. Überall diese Hände. Diese Blicke. Das Gequält- und Gezwungenwerden ist so nah. Ich will da nicht rein.
Der Fluchtgedanke überfällt mich. Alles egal. Raus hier, einfach nur raus.
Ich stehe auf dem Feld, im Regen. Gottseidank! Endlich wieder frei. Es ist noch einmal geschafft, davongekommen.
Doch dann kommt die Kälte, das Alleinsein. Mich fröstelt. Keiner da. Niemand. Die Erleichterung weicht der Wut. Warum nur habe ich es wieder verkannt? „Heute ist nicht früher, begreif‘ es doch mal!“, sagt eine Stimme in mir.
„Das nächste Mal“, sage ich mir, „das nächste Mal, da hau‘ ich nicht ab. Und wenn ich tot umfalle: Ich werde meine Angst besiegen und da bleiben.“
Und ich schleiche mich an. Es ist das nächste Mal. Noch geht’s, doch die Tür, sie ist schon zu schwer. Die ersten Treppen, das Geländer, das Oben-Ankommen. Die Stimmung, die Atmosphäre. Es schnürt mir den Hals zu. Ich kann nicht atmen. Ich appelliere an meinen Verstand, mein Verstand appeliert an mich. Er greift nicht. Er ist viel zu schwach.
Ich bin schon wieder so lange ohne Luft. Der Blick engt sich ein, Angst und Wut schnüren mir die Kehle zu, ich sterbe. Verdammt, ich sterbe schon wieder. So wie immer.
Und ich drehe mich um und renne raus. Einfach nur raus. Zukunft egal. Geld egal. Liebe egal. Beziehung egal. Überleben ist wichtiger, nur das zählt.
Und schon stehe ich wieder im Freien. So erleichtert. Der Kreislauf ist unterbrochen. Und geht doch morgen weiter. Die Diagnose: „Allergie gegen Nähe“.
Wie um alles in der Welt kam ich dahin, wo ich bin? Und wie finde ich da wieder raus? Ich suche die Nähe und wenn sie da ist, überkommt mich die Angst.
„Du bist zu weit gegangen“, höre ich. „Du bist immer wieder über Deine Schmerzgrenze gegangen. Es ist eine Allergie. Die Gewöhnung geht nur in kleinsten Schritten. Du kannst nur kleine Schritte gehen, nur bis dahin, wo der Schmerz anfängt. Wenn Du nur langsam genug gehst, wirst Du weiterkommen.“
„Und wenn das Leben zu schnell ist? Wenn ich sterbe, bevor ich ankomme?“ – „Dann bin ich mit Dir zusammen traurig“, sagt die freundliche Stimme.
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Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 3.9.2019
Aktualisiert am 7.6.2021
hubi meint
toll erzählt, diese geschichte berührt mich. immer wieder aufstehen ist gut. aber irgendwann darfs halt auch besser werden. immer gegen ne mauer laufen, bis man stirbt darf nicht das leben sein…
Dunja Voos meint
Danke!
Heike meint
Wunderschön. Das geht mitten ins Herz!
annimal meint
Das ist sooo berührend 😥 😥 😥