
Kurz vor oder während der Menstruation werden manche Frauen von grippeartigen Symptomen gequält. Manche leiden verstärkt unter Nasennebenhöhlenbeschwerden, andere unter Muskelschmerzen. Bei Männern können nach der Ejakulation grippeartige Symptome auftreten wie brennende Augen, verstopfte Nase, schwere Fatigue und ein starkes Krankheitsgefühl (Post-Orgasmic Illness Syndrome, POIS). Bei Frauen können sich Heuschnupfensymptome zyklusabhängig verändern. „Nun ist es seit sechs Monaten so, dass ich immer während der Periode krank werde. Ich bin immer total müde und erschöpft, habe meistens Halsschmerzen und meine Nebenhöhlen scheinen verstopft zu sein“, schreibt eine Frau im Forum Gofeminin.
Wilhelm Fließ und die „Nasale Reflexneurose“
Anfang des 20. Jahrhunderts sahen viele Mediziner einen engen Zusammenhang zwischen der Nase und den weiblichen Geschlechtsorganen. Auch das seltene post-orgasmische Krankheitssyndrom bei Männern wurde erahnt, indem der Zusammenhang zwischen den „Wolllustorganen des Mannes“ und den „Nasenmuscheln“ erkannt wurde (Wilhelm Fließ, 1910). Frauen mit Menstruationsbeschwerden wurden teilweise an der Nasenscheidewand operiert, weil man einen Zusammenhang zwischen Gebärmutterschleimhaut und Nasenschleimhaut beobachtete. Der Arzt Wilhelm Fließ (1858-1928), ein Freund Sigmund Freuds, vertrat die Theorie einer „Nasalen Reflexneurose“: Frauen- und Männerprobleme könnten sich durch Nasenprobleme äußern.
Wilhelm Fließ sagte: „Es ist bekannt, dass an den Nasenmuscheln ein eigentlicher Schwellkörper sich befindet, wie er auch an den Wolllustorganen des Mannes und der Frau wiederkehrt.“
Wilhelm Fließ, 1910: Über den ursächlichen Zusammenhang von Nase und Geschlechtsorganen.
(https://www.aerzteblatt.de/pdf/104/9/a553.pdf)
Fließ sprach von „Genitalzonen in der Nase“. Er hatte die Theorie, dass sie sich mit der Menstruation veränderten. Diese Genitalzonen befanden sich seiner Meinung nach in den unteren Nasenmuscheln. Außerdem handele es sich bei den Genitalzonen um die „an beiden Seiten der Nasenscheidenwand symmetrisch sitzenden, durch Blutgefäß- und Nervenreichtum ausgezeichneten Erhöhungen, die sogenannten Tubercula septi“ (Ärzteblatt, 2007).
„Die Verbindung von Nase und Genitale hat offenbar Ende des 19. Jahrhunderts Konjunktur. Einer der Ersten, der einen Hinweis auf einen möglichen Reflexkreis gibt, ist der amerikanische Laryngologe J. (John) Mackenzie, der auch brieflich mit Fließ in Kontakt getreten ist.“ https://www.aerzteblatt.de/pdf/104/9/a553.pdf
Hat das eine Bedeutung für die COVID19-Forschung?
Heute versteht man sogenannte „Atemwegserkrankungen“ mehr und mehr als komplexes, ganzheitliches (= systemisches) Geschehen. Auch bei COVID19 wird zum Zusammenhang zwischen Geschlechtshormonen und Krankheitsschwere geforscht – daraus könnten sich neue Therapiemöglichkeiten ergeben. Welchen Einfluss Geschlechtshormone auf grippeartige Symptome haben können, zeigt eine Fallstudie von Jose Bolanos and Abraham Morgentaler (2019): Hier konnte ein schweres postorgasmisches Krankheitssyndrom (POIS) erfolgreich mit dem Hormon Beta-HCG (Humanes Chorion-Gonadotropin) behandelt werden. Aus diesen Erkenntnissen wird sicher vieles mit in die COVID19-Forschung herüberwandern. Ich bin gespannt auf die Forschungsergebnisse und neuen Therapiemöglichkeiten der nächsten Jahre.
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Lesetipps:
Baraniuk, J. N., & Merck, S. J. (2008):
Nasal reflexes: implications for exercise, breathing, and sex.
Current allergy and asthma reports, 8(2), 147–153
https://doi.org/10.1007/s11882-008-0025-7
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4209300/
Bolanos, J, Morgentaler, A. (2019):
Successful treatment of Post-orgasmic illness syndrome with human chorionic gonadotropin.
Urology case reports, 29, 101078. https://doi.org/10.1016/j.eucr.2019.101078
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC6889685/
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https://doi.org/10.1177/014107680710001105
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC2099406/
David, Matthias (2007):
Wilhelm Fliess (1858–1928): Die nasogenitale Reflextheorie
Deutsches Ärzteblatt, PP 6, Ausgabe April 2007, Seite 160
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The American Journal of the Medicals Sciences. N.S. 88, 1884, 360-365
Mackenzie, John Noland (1898):
The Psychological and Pathological Relations between the Nose and the Sexual Apparatus of Man.
The Journal of Laryngology, Rhinology and Otology, 13, 1898, 109-123
https://zenodo.org/record/2200945#.YMrdNagzZPY
Malshe, Prakash C.:
A medical understanding of yoga
www.amazon.com/Medical-Understanding-Yoga-PRAKASH-MALSHE/dp/8190329863
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The effect of oestrogenic hormones on the nasal mucosa:
Their role in the naso-sexual relationship and their significance in clinical rhinology
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https://doi.org/10.1053/j.seminoncol.2020.06.002.
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DOI: dx.doi.org/10.1017/S0022215100092082
journals.cambridge.org
Published online: 29 June 2007
Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 8.5.2016
Aktualisiert am 16.6.2021
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