
Ein Patient, der zu einem Psychotherapeuten geht, tritt immer in Beziehung zu ihm. Der Patient wirkt auf den Therapeuten und umgekehrt. Kommt der Patient schon wütend in die Praxis, tobt vielleicht eine Wut in ihm, die er an jedem auslässt, egal, wer gerade vor ihm steht. Es kann aber auch sein, dass der Therapeut abweisend ist und durch seine Art Wut im Anderen auslöst. Dann hat der Ärger des Patienten viel mit der Eigenart des Therapeuten zu tun.
Der Patient in einer Box
Betrachtet man den Patienten als ein in sich abgeschlossenes System, das man von außen beobachten und analysieren kann, sprechen Psychoanalytiker von einer „Ein-Personen-Psychologie“. Viele werfen Sigmund Freud vor, er wäre von einer Ein-Personen-Psychologie ausgegangen. Andere wiederum verteidigen ihn und sagen, dass er mit seinen Untersuchungen zur „Übertragung“ und „Gegenübertragung“ gezeigt habe, dass man den Patienten eben nicht als vollkommen getrennt vom Therapeuten betrachten kann.
In der Praxis gehen Psychoanalytiker von einer „Zwei-Personen-Psychologie“ aus – das heißt, es ist ihnen bewusst, dass auch sie beim Patienten Gefühle auslösen und dass die Psychoanalyse ein Zusammenspiel von zwei Personen ist. Dieses Zusammenspiel gilt es, zu analysieren Man kann erforschen, wann der Patient von seinen eigenen inneren Bildern gefangen ist und wann er ganz „normal“ auf den Therapeuten reagiert – auch, wenn sich das bei Weitem nicht immer so leicht trennen lässt.
Die Begriffe „Ein-Personen-Psychologie“ und „Zwei-Personen-Psychologie“ wurden von dem ungarischen Psychoanalytiker Michael Balint und dem Psychoanalytiker John Rickmann (1891-1951) eingeführt. Rickman machte eine Psychoanalyse bei Sandor Ferenczi.
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Zum Nachlesen:
Psychoanalytische Wissenschaftsgeschichte
Informationen der Deutschen Psychoanalytischen Vereinigung (DPV)
http://www.dpv-psa.de/organisation/geschichte/wissenschaftsgeschichte/
Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 1.3.2014.
Aktualisiert am 23.6.2021
Dunja Voos meint
Vielen Dank für Ihre Rückmeldung, lieber Herr Bettighofer! Es ist für mich eine wichtige Orientierung.
Siegfried Bettighofer meint
ich finde, das ist eine sehr kurze prägnante Beschreibung dessen, was Zwei-Personen-Psychologie bedeutet. Kürzer und besser kann man es eigentlich nicht beschreiben. Auch der Hinweis auf Balint und v.a. J.Rickman ist hostorisch richtig und sehr wichtig.