In diesem Buch sitzen an einem Tisch: Die klassische Selbstpsychologin, die postkohutianische Selbstpsychologin, die intersubjektiv orientierte Selbstpsychologin, der relationale Psychoanalytiker, die interdisziplinär orientierte Psychoanalytikerin, der Post-Ichpsychologe, die klassische Freudianerin, der Laie, die zeitgenössische Freudianerin, der Objektbeziehungstheoretiker, die Post-Kleinianerin, die psychoanalytische Psychotherapieforscherin, die sozialwissenschaftlich orientierte Psychoanalytikerin und der Philosoph. 14 fiktive Menschen, die dem Leser deutlich machen, was mit „Selbstpsychologie“ gemeint ist. (Text: © Dunja Voos, Bild: © hogrefe)
Der Münchener Psychologe und Psychoanalytiker Professor Wolfgang Mertens benutzt eine erfrischend einfache Sprache, die auch „relative Anfänger“ verstehen können. Die fiktiven Gesprächsteilnehmer beleuchten die Psychoanalyse aus allen Richtungen, während es sich hauptsächlich um die Selbstpsychologie dreht.
Dabei geht es immer wieder um die „stellvertretende Introspektion“ – die Technik, die der Psychoanalytiker anwendet, wenn er nach dem Konzept der Selbstpsychologie von Heinz Kohut vorgeht. Die „stellvertretende Introspektion“ und die „Empathie“ sind die Grundpfeiler der selbstpsychologisch orientierten Psychoanalyse. Da kann man schon mal durcheinanderkommen: Wo liegt der Unterschied zur mentalisierungsbasierten Psychotherapie? Wie lässt sich die „Empathie“ im Sinne von Kohut von der „Empathie“ in der Gesprächspsychotherapie nach Carl Rogers abgrenzen? Diesen Fragen geht das Buch nach.
Tabellen liefern einen Überblick
Eine Art „Bedienungsanleitung“ für den Psychoanalytiker liefern Tabellen, die nach einigen Kapiteln eingebaut sind.
So sieht der Beginn der Tabelle auf S. 211 zum Beispiel aus:
Behandlungspraktisches Vorgehen:
„Lass dich in deiner Spontaneität und Natürlichkeit nicht durch starre Regeln, dich abstinent und neutral gegenüber deinem Patienten verhalten zu müssen, beirren. Durch authentische Äußerungen und Antworten entsteht ein wechselseitiger und für beide Teilnehmer fruchtbarer Prozess des Miteinander-in-Beziehung-Seins …“
Epistemiologische* Annahmen:
„Verzichte vor allem auf die Annahme eines topographischen Unbewussten. Das Unbewusste ist nicht ‚hinter‘ oder ‚unter‘ bewussten Verhaltensweisen verborgen, sondern es manifestiert sich mit unterschiedlichen Ausprägungsgraden von Bewusstheit in der Art und Weise der jeweiligen interpersonellen Beziehungen.“
(* episteme = griechisch: „Wissen“, Epistemiologie = „Lehre des Wissens, Wissenschaft“)
Modelle der Psyche, interdisziplinäre Metatheorie:
„Das relationale Modell ist ausschließlich beziehungsmäßig ausgerichtet; es weist alle triebtheoretischen Prämissen einer One-Body-Psychologie zurück.“
„Das Primat des Körperlichen in der klassischen Triebtheorie … wird bestritten; Wünsche, Begehren werden stets im Kontext von Bezogenheit wahrgenommen.“
Das Buch ist einfach schön zu lesen – auch von der Papierqualität und vom Layout her. Man bekommt ein Gefühl für die verschiedenen Richtungen der Psychoanalyse. Das Buch macht Appetit auf mehr: Band 1 zur Ichpsychologie ist schon bestellt.
Buch:
Wolfgang Mertens
Psychoanalytische Schulen im Gespräch
Band 2
Selbstpsychologie, Post-Selbstpsychologie, relationale und intersubjektive Kritik
Verlag Hans Huber, Bern, 1. Auflage 2011
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Dieser Beitrag erschien erstmals am 22.2.2014
Aktualisiert am 5.2.2021
Melande meint
„One-body-Psychologie“:
Die Beziehung, die ich zu mir/meinem Selbst habe, ist aber doch immer irgendwie auch mit den Beziehungen, die ich mit anderen habe („many-body-Psychologie“…….), „verwoben“.
Und
„Intersubjektivität“
ist doch auch bei JEDEM psychotherapeutischen GESPRÄCH vorhanden? Mehr oder weniger. Je weniger, desto größer der Abstand zwischen den beiden. Wie z.B. bei Arzt-Patienten-Interaktionen, wo beide über ein Drittes/“Dingliches“/Körperliches (Röntgenbild, gebrochenen Fuß, usw. ) sprechen.