„Abgründe“ von Hans Hopf (Buchtipp)
Der Kinderpsychoanalytiker Dr. Hans Hopf hatte schon immer eine wunderbare Art zu schreiben, doch besonders bewegend finde ich sein neues Buch „Abgründe. Spektakuläre Fälle aus dem Leben eines Psychotherapeuten“ (Klett-Cotta, 2020). Hier bringt er dem Leser die Psychotherapie mit Kindern und Jugendlichen auf eine sehr interessante Weise näher. In übersichtlichen Kapiteln erzählt er Geschichten, die er in seinen vielen Berufsjahren mit seinen Patienten und Patientinnen erlebt hat. So sind viele wahre „Kurzgeschichten“ zusammengekommen, die eine breite Leserschaft ansprechen. Eltern und möglicherweise auch deren ältere Kinder bekommen einen Einblick, wie Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie funktioniert.
Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten finden in dem Buch viel Lehrreiches, Faszinierendes, aber auch Tröstliches, denn Hans Hopf schreibt auch über Verläufe, die teilweise tragisch enden und den Psychotherapeuten mit Schuldgefühlen konfrontieren.
Es ist ein ehrliches, berührendes und manchmal auch vergnügliches Buch. Interessant erscheinen mir auch Anekdoten am Rande, die zeigen, wie Kinder- und Jugendlichenpsychotherapien noch ganz zu Beginn aussahen. Damals war es beispielsweise nicht ungewöhnlich, dass der Therapeut im Notfall auch zu den Kindern und Jugendlichen nach Hause fuhr. Auch wenn einzelne Therapeuten dies heute vielleicht noch im Notfall machen, so ist es heute doch üblich, nur in den eigenen Praxisräumen zu therapieren.
Wie funkioniert die Seele?
In dem liebevoll geschriebenen Buch erfahren die Leser*innen nicht nur viel über das psychotherapeutische Handwerk, sondern auch über die Psyche selbst. Besonders faszinierend ist hier vielleicht das Kapitel „Mein Zimmer gehört mir!“, in dem deutlich wird, wie ein Mädchen in der Pubertät ihr Zimmer mit ihrer Vagina gleichsetzt. Das Symbol (das Zimmer) wird zum Symbolisieren (die Vagina) (S. 102-106). Auch beschreibt er, wie ein junges Mädchen nach dem Geschlechtsverkehr psychotisch wird und glaubt, ihr Freund sei der Teufel (S. 106-109). Mit einfachen Worten schreibt Hans Hopf: „Der Teufel ist die Personifizierung des Bösen“ (S. 109). Es ist dann die therapeutische Aufgabe, herauszufinden, wo dieses gefürchtete „Böse“ steckt wie z.B. in der Überschreitung von Verboten, die das Mädchen mit ihrem starken Über-Ich möglicherweise psychisch überfordert hat.
Besonders berührt hat mich die Geschichte von „Gerhard, der Junge, der sich nach Liebe sehnte“. Sie erinnert mich sehr an den Stil der Kurzgeschichten des berühmten Autors Roald Dahl (1916-1990). Die Geschichte führt zu einer Überraschung, bei der man nur denkt: „Oh Nein!“ Es ist das Leben, das diese Geschichten schreibt und gegen die kein Psychotherapeut der Welt ankommen kann. Wie man mit dieser Ohnmacht gerade als Pychotherapeut zurechtkommt, davon berichtet Hans Hopf – und er gibt seine Lebensweisheit mit ermutigenden Worten weiter.
Hans Hopf:
Abgründe. Spektakuläre Fälle aus dem Leben eines Psychotherapeuten.
Klett-Cotta, 2020