
„Schon wieder so ein Patient, der nie satt wird. Ich denke, auch in der Therapie wird er nicht satt werden können.“ Sätze wie diese fallen im therapeutischen Bereich immer wieder. Resigniert zieht der Therapeut sich zurück. Es ist, als hätte der Patient eine Sucht, die niemals zum Ende kommen kann. „Ist ja klar: Das Belohnungszentrum in seinem Hirn springt immer wieder an und führt zum Teufelskreis“, hören wir. Doch wollen wir uns mit solchen Bildern zufrieden geben?
Ein „Belohnungszentrum“ im Gehirn hat auch derjenige der satt werden kann. Dennoch gerät er nicht in unstillbare Gier nach mehr „Belohnung“.
Viel wichtiger ist es, den Menschen genau kennenzulernen. Dann wird man oft feststellen, dass es dem Betroffenen verwehrt war, das „Richtige“ zu bekommen. Seine Bezugspersonen lebten sozusagen an seinen Bedürfnissen vorbei. Und dann entsteht eine Art „Craving“, ein Verlangen nach immer mehr.
Gleichzeitig entsteht beim Betroffenen auch eine Angst davor, wirklich vom Richtigen „getroffen“ zu werden, das Richtige anzutreffen und „wirklich“ satt zu werden. Es ist ihm peinlich und er fühlt sich schuldig – manchmal sogar schon dann, wenn er nur liebevoll behandelt wird.
Sucht durch Mangel
Das „Craving“ kennen wir aus der Ernnährungsphysiologie und auch von uns selbst: Es gibt Zeiten, da brauchen wir unbedingt Süßes oder eiskalte Milch oder Cola. Doch das sind oft Zeiten, in denen wir viel Frust erleben, wenig Schlaf erhalten oder einen Mangel an bestimmten Nährstoffen haben. Wer beginnt, sich bewusst zu ernähren und abwechslungsreich, gut gewürzt, fettig, süß genug und regelmäßig zu essen, der wird mit der Zeit weniger „Cravings“ erleben.
Wenn ein kleines Kind Hunger hat und „richtige“ Nahrung braucht, dann nutzt es nichts, wenn wir fragen: „Willst Du Vanille-Eis? Oder Mango, oder Erdbeer, oder Blaubeer oder Mocca oder Nuss oder Tiramisu?“ Es wird immer weiter „heulen“ und nölen und wir sagen dann: „Es ist nie zufrieden.“ In Wirklichkeit will es aber gar kein Eis, weil es in dem Moment etwas ganz anderes braucht. Und wenn es das Richtige bekommt, wird es satt sein.
Und so ist es auch in Psychotherapien: Wenn Patienten das „Positive Denken“ üben sollen, aber noch nie einen Therapeuten hatten, der wirklich einmal ihr Leid aufnehmen konnte, dann werden sie „undankbar“ bleiben.
Am Wahren vorbei
„Sucht“ heißt sehr oft, dass der Mensch in seinem Eigentlichen nicht getroffen wurde. Dass es immer vorbei an seinen wirklichen Bedürfnissen ging, ja dass kaum jemand – und er selbst auch nicht – seine wirklichen Bedürfnisse kennt. Der, der keine Liebe erhält, will immer mehr Geld. Er wird gierig, aber nie satt vom Geld.
Sucht ist ein Zeichen dafür, dass etwas wortwörtlich „daneben-ging“ und dass keine beruhigende, zufriedenstellende Begegnung stattfand. Der Mangel an guten inneren und äußeren Objekten ist so groß, dass Frustrationen nicht ausgehalten werden können. Das „Suchtmittel“ – wie immer es aussehen mag – soll nur ein Loch stopfen, was es niemals kann. Daher hört die Sucht auf diese Weise auch niemals auf.
Sattwerden ist eine natürliche „Fähigkeit“, ähnlich wie „Ausscheidenmüssen“. Wenn das Sattwerden gestört ist, dann stimmt etwas nicht. Das ist jedoch meistens kein Grund zur Resignation, sondern eine Motivation, die Quelle zu finden, aus der die Sucht sprudelt.
Schreibe einen Kommentar