
Wir alle kennen unsere kleinen „Wahne“, die wir selbst sogar als solche erkennen und gegen die wir trotzdem nicht ankommen. Kein „sieh doch mal!“, keine noch so vernünftige Argumentation kann uns erreichen, wenn wir von unserem persönlichen Bild in einer Sache überzeugt sind. Wir haben dann einfach Recht und die anderen sehen es nicht. In der Psychose, im Wahn, ist diese Unverrückbarkeit noch viel extremer. Der Wahn ist stärker als die Realität. Da helfen möglicherweise jedoch gemeinsames Phantasieren, emotionale Berührung und das Spiel. Der Wahn ist eine Art „vierter Raum“, den es zu verstehen gilt.
Die Psychoanalytikerin Elisabeth Aebi Schneider schreibt:
„‚Délirer‘ heißt eigentlich ‚Wahnen‘ und beschreibt den Vorgang der Schaffung, Entwicklung, Aufrechterhaltung und Unterbringung eines Wahngeschehens, der in einem Raum stattfindet, der weder innen noch außen noch im Übergang anzusiedeln, sondern der ein ganz spezifischer ist.
Diesem vierten Raum entspricht eine vierte, paradoxale Realität, die unzerstörbar ist und von Racamier sehr poetisch beschrieben, fast schon besungen wird. Die faktische Realität, die so oft angeführt wird, kommt nicht gegen sie an.
Wenn etwas den Kampf gegen die Wahnrealität aufnehmen kann, dann ist es am ehesten das Spielen im Winnicott’schen Sinn.„
Verwandte Artikel in diesem Blog:
Elisabeth Aebi Schneider:
Redaktionelles Vorwort
Zeitschrift für psychoanalytische Theorie und Praxis, Jahrgang XXXI, 2016, 3/4, S. 287, PDF
Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 28.6.2020
Aktualisiert am 12.9.2020
Dunja Voos meint
Vielen Dank für diesen wertvollen Kommentar, liebe Melande! Alles Gute!
Melande meint
Der „ganz spezifische VIERTE RAUM, der WAHN-RAUM“, spricht mich sehr an.
Ich habe mich während meiner Berufstätigkeit in einer großen psychiatrischen Klinik (Abteilung für soziale Rehabilitation, 1990 bis 2007) mit chronisch wahnhaften Patienten (bei denen die Neuroleptika ihr Wahn-Erleben nicht …weggemacht hatten) gerne auf „schizophrenesisch“ unterhalten.
In den Gesprächen war meinerseits immer viel Wertschätzung, positives Eingehen auf das Gesagte, Einfühlung und auch Phantasie enthalten. Ich habe, wie bei vielen Mitarbeitern derzeit üblich, bei „verrückten Äußerungen“ nicht zugemacht, sondern auf bestimmte Worte (intuitiv/“joining“) geantwortet.
Ich habe gedanklich, gefühlsmäßig und interaktiv nicht eine Grenze gezogen. Wahrscheinlich hatte mir geholfen, dass ich in meiner Jugend zwei psychotische Episoden erlebt hatte. Aber ich meine, dass derartige therapeutische Gespräche jeder (lernen) kann, der sich darum bemüht und innere Grenzen nicht wie äußere (Stopp!) versteht.
Ein lieben Gruß von
Melande