
Manche Menschen mit einer schweren Angststörung kennen das: Wenn sie in den Angst-Zustand kommen, fühlt es sich an, als sei dei Haut ganz löchrig oder fragil wie Papyrus. Die Umwelt kommt einem bedrohlich vor. Es ist, als bebte die Erde, obwohl sie still steht. Es ist, als sei die Luft vergiftet oder als sei alles „verstrahlt“. In diesem Zustand fühlt man sich sehr nah an der Psychose: Es fühlt sich an, als sei die Wirklichkeit wirklich so.
Erklärbar werden diese ängstlichen, zerbrechlichen Gefühle und Wahrnehmungen, wenn wir uns die Beziehung zu dem Menschen anschauen, der uns am nächsten steht. Wenn wir zurückgehen in die Kindheit, ist die am nächsten stehende Person meistens die Mutter.
Babys wollen beruhigt werden
Die Mutter hat die Aufgabe, ihr Baby zu beruhigen. Ist sie gesund und ist die Beziehung zwischen ihr und dem Baby gut, dann erfährt das Baby, dass die Mutter es beruhigen kann. Es fühlt sich wohl bei ihr und erfährt, dass die Welt ein sicherer Ort ist.
Der Psychoanalytiker Donald Winnicott sprach auch davon, wie wichtig die „Umgebungsmutter“ ist. Ähnlich wie das „Übergangsobjekt“, das an die Mutter erinnert, wird die Umgebung wie ein Teil der Mutter erlebt. Konnte die Mutter das Nest gut bauen oder war sie da eher ungeschickt?
„Die Umgebungsmutter oder Umweltmutter hängt mit Vertrauen, offenem Horizont, Ausrichtung auf Zukunft, aber auch starker Negativität zusammen.“
Zitiert aus: „Freiheit und Krisis“ von Matthias Berschinger, bezogen auf Donald Winnicott (1958): „Reifungsprozesse und fördernde Umwelt.“
Durch die gute Beziehung zur Mutter erlebt das Baby es so, als wenn sich ein „guter Mantel“ zum Schutz über den eigenen Körper legen würde. Manche Psychoanalytiker sprechen auch von einer zweiten Haut. So beschreiben es auch viele Patienten: Durch die Psychoanalyse fühlen sie sich so beschützt, als würde sich eine Schutzhülle um sie legen. Auch Verliebte oder Menschen in einer guten Partnerschaft wirken oft so, als fühlten sie sich gut beschützt – fast, als trügen sie eine gute Hülle um sich herum.
Ob die Welt für uns ein sicherer oder unsicherer Ort ist, hängt also eng mit unserer engsten Beziehung zusammen. Anfangs sind Mutter und Vater die bedeutungsvollsten Menschen, später dann der Partner oder eventuell auch der Psychoanalytiker.
Alltagsängste spiegeln die Bindung wider
Bei kleinen Kindern kann man oft im Alltag ablesen, ob die Bindung zur Mutter sicher ist oder nicht. In einem bestimmten Alter haben viele Kinder starke Angst vor lauten Geräuschen, vor Motorsägen, vor bellenden Hunden und besonders auch vor dem Staubsauger. Bei Kindern, die eine unbändige Angst vor diesen Dingen haben, lässt sich oft auch eine unsichere Mutter-Kind-Bindung feststellen.
Ob wir die Welt da draußen also als gut, sicher und verlässlich wahrnehmen oder als bedrohlich, hängt also weniger von der Realität der äußeren Welt ab als von der Qualität unserer engsten Beziehungen.
Wenn ein Baby Angst hat vor dem Staubsauger, dann verbindet es psychisch möglicherweise die Mutter damit. Interessant zu beobachten ist auch, wie es an „guten“ oder „schlechten Tagen“ mit der Angst aussieht oder wie es ist, wenn das Kind bei der Oma ist. Oft verhält es sich bei der Oma genauso, weil es die Beziehung zur Mutter verinnerlicht hat.
Sigmund Freud sprach auch von einem Reizschutz. Im Buch „Freud lesen“ (Psychosozial-Verlag 2004) schreibt der Psychoanalytiker Michel Quinodoz: „Die Aufgabe des Reizschutzes besteht also darin, die Psyche vor zerstörerischen äußeren und inneren Energien zu schützen und ihre VErarbeitung zu gewährleisten. Die äußeren Erregungen werden von den Sinnesorgangen aufgenommen, die der Außenwelt nur eine kleine „Stichprobe“ entnehmen, wobei die tiefer im Körperinneren gelegenen Teile der reizemfpindlichen Rindenschicht das System Bw (Bewusstsein) abbilden. Dieses System Bw empfängt aber auch Erregungen von innen her, gegen die kein analoger Reizschutz existiert.“ (S. 316) „…. im Dienste der Abwehr (werden) die inneren Erregungen mithilfe des Mechanismus der Projektion so behandelt, als ob sie von außen kämen.“ (S. 317)
Nicht selten können also auch „innere Gefahren“ wie z.B. große Wut oder Hass sozusagen in die Außenwelt verlegt werden, sodass es aussieht, als käme die Bedrohung von außen, obwohl sie ja von innen herkommt. Zum Beispiel kann dann das „wackelige Gefühl“, dass der eigene Hass durchbrechen könnte, erlebt werden wie eine bebende Erde. Auch von solchem Erleben sind wieder eher Menschen betroffen, deren frühe Bindungen so unsicher waren, dass sie den psychischen Umgang mit ihren Affekten kaum lernen konnten.
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