
„Achtung, Trigger!“, steht in manchen Internetforen, was eigentlich eine Warnung an traumatisierte Menschen sein soll. Sie sollen hier nicht weiterlesen, denn es könnten ungute Gefühle, Erinnerungen ans Trauma, „Flashbacks“ und Ängste ausgelöst werden. Natürlich wird durch diese Vorwarnung oft der gegenteilige Effekt erreicht: Neugierig klickt man drauf und freut sich heimlich fast auf’s Gruseln.
Viele Traumatisierte leiden jedoch regelrecht darunter, dass sie keinen „Trigger“ ausmachen können, sondern sie eiskalt erwischt werden von ihrer Angst.
Das Bindungstrauma
Menschen, die bereits schwer traumatisiert wurden, bevor sie sprechen konnten, haben ein schweres „Bindungstrauma“, das nicht bewusst erinnert werden und nicht in Worte gefasst werden kann. Es äußert sich durch körperliche Beschwerden und Spannungszustände wie z.B. Angstattacken, Übelkeit, Schwindel, Atemnot und Schweißausbrüche.
Kleine Kinder binden sich natürlicherweise an ihre Eltern, gerade in der Babyzeit. Wenn das Traumatische dort einschlägt z.B. in Form von Schreien oder Gewalt (z.B. Vojta-Therapie), wird die Bindung immer wieder unterbrochen und zerstört. Es können sich zudem schleichende Traumen ausbreiten durch Vernachlässigung, Nicht-Beantworten von Mimik, Nicht-Beantworten von körperlichen und psychischen Bedürfnissen, verachtende Blicke von den Eltern usw.
Wie aus dem Nichts
Später dann sagen die Betroffenen manchmal: „Komisch, ich kann gar keinen Auslöser für meine schrecklichen Gefühlszustände nennen. Fast beneide ich andere Traumatisierte, die durch einen Geruch oder durch eine gewaltsame Szene getriggert werden, weil da so etwas wie Klarheit im System herrscht. Ich jedoch denke in den friedvollsten Situationen auf einmal, dass ich gleich verrückt werde und eine tiefe, grabende Angst erschüttert mich innerlich. Ich werde auf einmal ganz porös – besonders dann, wenn ich mit nahestehenden Menschen zusammen bin.“
Das Schwierige bei dieser Sache ist: Der „Trigger“ ist das Bindungsgefühl selbst.
Reingerutscht
In dem Moment, in dem ich mich an einen anderen Menschen binde, in dem ich mich geborgen, schläfrig, wohlig oder vielleicht freudig fühle, werde ich unbewusst an die alten Atmosphären, Gefahren und Situationen erinnert. Die gute Bindung selbst kann der Trigger für unaushaltbare Zustände sein. Das ist das Fiese an frühen Traumatisierungen.
Vor allem, wer in der Babyzeit Gewalt erfahren hat (wie z.B. die Vojta-Therapie, die aus meiner Sicht vom Baby wie Gewalt erlebt wird), braucht häufig eine sehr intensive und langjährige Therapie, damit nahe Beziehungen möglich werden. Ich denke, dass bei schweren Ausprägungen die hochfrequente Psychoanalyse (mit vier Terminen pro Woche) am besten helfen kann, weil hier die Beziehung zum Analytiker so „eng“ ist, dass sich die Probleme unweigerlich zeigen.
Auftauchende Probleme können in dieser nahen Beziehung dann direkt spürbar werden. Der Psychoanalytiker kann dann sozusagen mithelfen, das Unaushaltbare zu „verdauen“ – er übernimmt die psychischen Aufgaben, die normalerweise eine Mutter übernimmt (siehe: „Da-Sein“ als psychoanalytischer Wirkfaktor“). Dadurch kann der hohe Spannungszustand, der bei den früh traumatisierten Menschen oft in engen Beziehungen entsteht, teilweise oder zeitweise auch ganz gelöst werden. Die Betroffenen können dann ihren Spannungszustand leichter einordnen und mithilfe ihrer eigenen Beruhigungsversuche stärker beeinflussen. Adressen gibt es z.B. bei der www.dpv-psa.de oder www.dgpt.de.
Hilfreich ist zudem alles, was den Nervus vagus (das parasympathische Nervensystem) beeinflusst wie z.B. Qi Gong, Yoga, Tai Chi usw. Dies hilft aus meiner Sicht jedoch nur, wenn man die Praxis im Einzelunterricht erlernt und möglichst täglich über lange Zeit (meiner Erfahrung nach einige Jahre) durchführt.
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Buchtipp:
Dunja Voos:
Schatten der Vergangenheit.
Trauma liebevoll heilen und innere Balance finden.

Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 15.1.2019
Aktualisiert am 27.12.2020
Dunja Voos meint
Liebe RR10_80,
da haben Sie Recht, das ist immer wieder ein großes Problem – leider! Denn die Psychoanalyse wirkt oft so tiefgreifend, dass die Patienten meiner Erfahrung nach nicht mehr von Klinik zu Klinik gehen müssen. In Deutschland zahlt die gesetzliche Krankenkasse die sogenannte „Analytische Psychotherapie“ („Pyschoanalyse“) für etwa 300 Stunden, bei dringendem Bedarf auch mehr. In Österreich und der Schweiz ist dies meines Wissens nicht so oder nur teilweise so. Eine selbstgezahlte hochfreuquente Psychoanalyse kostet ca. 16.000 Euro pro Jahr. Das können sich sehr viele natürlich nicht leisten. Manche nehmen jedoch einen Kredit dafür auf oder aber greifen auf ihr Erspartes zurück oder entscheiden sich gegen einen Neuwagen. In der Schweiz gibt es meines Wissens auch eine Psychoanalyse-Stiftung, die die Patienten finanziell unterstützt. Ich selbst möchte mich später auch einmal dafür einsetzen, dass es so etwas wie eine Stifung oder Patenschaft gibt für Patienten, die dringend eine Analyse bräuchten, wo die Kasse jedoch nicht (ausreichend lang) zahlt.
RR10_80 meint
danke für diesen beitrag! mein erster kritischer gedanke kam mir bei vier mal wöchentlich psychoanalyse, zherapie was auch immer. wer kann sich das finanziell leisten?
Dunja Voos meint
Liebe Anja G.,
vielen Dank für Ihren wertvollen Hinweis. Ich habe nun den Beitrag am Ende verändert – vielleicht ist es so etwas besser. Das Problem ist, dass bei schweren Traumatisierungen im vorsprachlichen Bereich aus meiner Sicht häufig nur eine Psychoanalyse hilft und dass man selbst aus eigener Kraft recht wenig machen kann – so jedenfalls meine Erfahrung. Was jedoch hilfreich ist, sind alle Methoden, die dabei helfen, den Nervus vagus (das parasympathische Nervensystem) zu beeinflussen, also z.B. Yoga, Qi Gong, Tai Chi oder ähnliches. Diese Übungen müssen jedoch unter Anleitung erlernt und lange Zeit, möglichst täglich durchgeführt werden.
Anja G. meint
Der Beitrag hört genau da auf, wo es hätte weitergehen müssen. So bleibt man ratlos zurück.
Und was soll man jetzt anfangen damit? Ist eine Frage, die man im Kopf hat.