
„Ich leide ganz furchtbar unter dieser Maskenpflicht und dem Social Distanding“, erzählen mir manche. Ich kann das gut nachempfinden. Das tägliche Händeschütteln und Umarmungen sind für viele, die sehr einsam leben, die einzige Quelle der Berührung. Durch Corona entfällt dies zu großen Teilen. Das ruft bei Menschen ohne Partner, Familie oder erreichbare engere Freude großes Leid hervor. „Free Hugs“ gibt es kaum noch und wo es sie gibt, werden sie skeptisch beäugt.
Wie schwierig das alles ist, zeigen Youtube-Videos mit dem Motto: „I’m a human, not a virus“. Diese Videos bekommen gerade offiziell mehr Dislikes als Likes, wobei ich glaube, dass viele sich nicht trauen, in diesen Zeiten einen „Daumen hoch“ zu vergeben.
Doch auch, als Kuscheln noch „erlaubt“ war, ging es vielen Einsamen nicht besser. Trotz Kuschlparties, Massagen und vielem mehr – Berührung ist dann erfüllend, wenn sie von einem vertrauten Menschen kommt. Gelegenheitslösungen bieten keinen Ersatz.
Deutschland war schon vor Corona berührungsarm
Gerade in Deutschland ist es mit den Berührungen schwierig: Lehrer durften die Kinder auch schon vor Corona kaum noch anfassen, Der Verdacht des „sexuellen Missbrauchs“ steht viel zu schnell im Raum – unter anderem auch deshalb, weil wir zu unseren eigenen sexuellen Wünschen kaum einen Bezug haben. Erzieher sind sich unsicher, wieviel Zuneigung sie den Kindern geben dürfen. Opas nehmen keine Nachbarskinder mehr auf den Schoß, die Tanten schmatzen niemanden mehr ab (was erfreulich ist für die Kinder ;-)). In anderen Kulturen kommt es viel öfter zu Berührungen. Dort ist auch der Abstand zwischen den Menschen oft viel geringer, wenn sie sich unterhalten.
Was also tun, wenn man alleine lebt und die Haut bereits schmerzt von der brutalen Nicht-Berührung?
„Intime“ Beziehungen helfen
Eine „intime Beziehung“ zu haben bedeutet nicht unbedingt nur, einen Sexualpartner zu haben. Eine „intime Beziehung“ kann auch eine vertraute Freundschaft sein. Es gibt Gespräche, in denen man sich emotional so verstanden und beführt fühlt, dass es ist, als sei man auch körperlich berührt worden.
Das Problem des „Lebens ohne Berührung“ ist einerseits der tatsächliche Mangel an körperlicher Berührung. Andererseits neigen viele Menschen auch dazu, sich generell „zu“ zu machen, das heißt, es ist für sie schon schwierig, sich emotional berühren zu lassen. Manche Menschen lernen das erstmals in einer Psychotherapie oder Psychoanalyse.
Können Hund, Katze und andere Haustiere den Berührungsmangel ausgleichen? Teilweise ja. Empfehlenswert ist es auch, eine Massagepraxis zu finden, zu der man Vertrauen aufbauen kann. Ich finde insbesondere die Yoga-Massage empfehlenswert, weil dort der Körperkontakt eng und zugleich distanziert ist. Auch Kontaktsportarten können helfen.
Kreativität hilft
Wer etwas Kreatives tut, sich im Flow fühlt, wer träumt und Zukunftspläne hat, der fühlt den Mangel an Berührung oft weniger als jemand, der sich im Beruf langweilt und resigniert. Nach der Kreativität kann man nicht zwanghaft suchen. Sie zeigt sich zwischendurch. Oft wird sie unterdrückt – das „Ja, aber“ oder das „Nein, das geht doch nicht“, kommt viel zu schnell. Hier ist es wichtig, einmal auf die vielen kleinen inneren Verbote zu achten.
Körperliche Erkrankungen „helfen“. Wer an Berührungsmangel leidet, ist oft erstaunlich schnell „geheilt“, wenn er sich eine schwere Erkältung oder Magen-Darm-Grippe zugezogen hat. Die körperlichen Reize sind dann zwar äußerst unangenehm, aber sie haben einen „ganz im Griff“. „Nur gesund werden“ lautet die Devise. Alles andere ist für eine Zeit lang egal. Aus psychosomatischer Sicht könnte man sogar sagen, dass so manche Erkrankung, so mancher operativer Eingriff, das Leiden an Berührungslosigkeit als Ursache hat.
Bewegung hilft
Bei Berührungsmangel kann körperliche Bewegung teilweise helfen. Auch extreme Wetterbedingungen wie Hitze, Kälte oder Wind können helfen, den Körper zu beruhigen, wenn er lange auf Berührungen verzichten musste.
Natur, Musik und Essen helfen
Das Leben in der Natur ist ebenfalls hilfreich. Am Meer lässt sich Berührungsmangel manchmal ausgleichen. Auch durch Musik kann man sich berühren lassen – wohl am stärksten dann, wenn man selbst ein Instrument spielt oder im Chor singt und mit anderen zusammen musiziert. Viele merken auch, wie sehr ihnen Essen, insbesondere Schokolade, hilft. Auf Dauer kommt es natürlich zu Kummerspeck.
Immer wieder sinkt das Sehnsuchts-Fieber auch ab und das Leiden an der Berührungslosigkeit ist gemildert. Stress lenkt ab – vielleicht sind wir unter anderem deshalb eine gestresste Gesellschaft: um den Berührungsmangel nicht zu spüren.
Aber alles hilft nicht so richtig
Aber natürlich hilft alles nicht so richtig – außer Warten und Suchen. Mit Intuition Freunde und einen Partner finden ist auf Dauer das Einzige, was oft wirklich hilft. Offen sein, wahrnehmen, sich wieder verschließen, wenn man es braucht. Ein Schiff wird kommen.
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Interessanter Link:
Internationale Kommunikationskulturen
Nonverbale Kommunikation/Gesten, Körperbewegungen, Körperhaltungen und Körperkontakt als Signale
von Margarete Payer
www.payer.de/kommkulturen/kultur042.htm
Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 16.9.2016
Aktualisiert am 22.7.2020
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