Menschen mit Persönlichkeitsstörungen und Menschen mit Psychosen haben häufig Schwierigkeiten damit, sich sogenannte mentale Zustände bei sich und anderen Menschen vorzustellen. Es fällt ihnen schwer, über sich und andere flexibel nachzudenken und mehrere Möglichkeiten für ihr Handeln in Betracht zu ziehen. Außerdem haben Menschen mit schweren psychischen Störungen oft unsichere Bindungen in der frühen Kindheit erlebt. Wenn Eltern ständig streiten und wenn viele Trennungen erlebt werden, bleibt kein Raum für Mentalisierung (also das Nachdenken über psychische Zustände) – dazu gibt es zu viel Angst und Stress.
Wenn der andere einen am Denken hindert
Der Psychiater Benjamin K. Brent und Kollegen des Beth Israel Deaconess Medical Center haben nun einen Beitrag veröffentlicht, in dem sie beschreiben, wie gestörte Bindungen und eine beeinträchtigte Fähigkeit zur Mentalisierung bei der Psychose zusammenhängen.
Am Beispiel einer psychotischen Patientin zeigen Benjamin Brent und Kollegen, wie die Fähigkeit, über sich und andere nachzudenken eingeschränkt wird, sobald die Patientin die Gefahr sieht, dass es zu einer Trennung oder zu einem Konflikt in der Beziehung kommt. Das Zusammensein mit dem Therapeuten selbst kann das Nachdenken bereits beeinträchtigen.
Die Gedanken kreisen um sich selbst
Schon in früher Kindheit alleingelassen, denkt die Patientin häufig „zu sehr“ über sich und ihre Angreifer nach (Hypermentalisierung). Sie ist dann auch davon überzeugt, dass andere dasselbe denken wie sie. Wenn sie also denkt, sie sei nichts wert oder sie sei komisch, ist sie überzeugt davon, dass andere dasselbe denken. Was in ihr vorgeht müsse doch auch in der äußeren Welt vorgehen, so lautet die unbewusste Gleichung (psychische Äquivalenz). Solche Gedanken sind oft die Folge eines mangelenden Austausches mit anderen Menschen.
Nach den Gefühlen fragen
In der sogenannten mentalisierungsbasierten Therapie (MBT) versucht der Therapeut, die Mentalisierungsfähigkeit des Patienten zu stärken. Um das zu erreichen, wird viel über die mentalen Zustände gesprochen: Was wünsche ich mir? Was fühle ich, was habe ich vor, was denke ich? Und was könnte der andere denken, fühlen und sich wünschen?
Fragen wie diese werden regelmäßig verfolgt. So kann der Patient sich selbst besser kennenlernen, aber auch erfassen, dass der andere vielleicht ganz anders denkt und fühlt, als er immer dachte. Das eigene Denken wird dabei flexibler und es entsteht eine höhere Toleranz gegenüber der „Andersartigkeit“ des anderen. Der Patient kann dann auch zunehmend aushalten, dass er eben nicht immer so sicher weiß, wie es im Inneren des anderen aussieht. Die sichere Bindung zum Therapeuten verstärkt dabei die Effekte der mentalisierungsbasierten Therapie.
Quelle:
Benjamin K Brent, Daphne J Holt, Matcheri S Keshavan, Larry J Seidman, and Peter Fonagy
(Beth Israel Deaconess Medical Center and Massachusetts Mental Health Center, USA, 2014):
Mentalization-based Treatment for Psychosis:
Linking an Attachment-based Model to the Psychotherapy for Impaired Mental State
Understanding in People with Psychotic Disorders
Israel Journal of Psychiatry and Related Sciences
Isr J Psychiatry Relat Sci – Vol. 51 – No 1 (2014)
http://iris.ucl.ac.uk/iris/publication/947751/1
http://doctorsonly.co.il/wp-content/uploads/2014/04/04_Mentalization-based.pdf
Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 1.9.2014
Aktualisiert am 26.7.2020
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