Kontaktabbruch zwischen Kindern und Eltern: „Sie verstehen mich nicht.“

Kinder, die den Kontakt zu ihren Eltern beendet haben, wünschen sich von den Eltern Verständnis – doch die „emotionalen Sprachen“, die gesprochen werden, sind zu unterschiedlich. Die Kinder müssen oft verschmerzen, dass ihre Eltern nicht verstehen können, was sie meinen. Und umgekehrt. Die Psyche hat ebenso „psychische Strukturen“ wie ein Körper Körperteile hat. Ein Mensch, der nur eine Hand hat, kann nicht mit beiden Händen nach etwas greifen. Und so ist es psychisch auch: Wer als Kind schwere Zeiten erlebt hat, kann als Erwachsener an vielen Stellen emotional nicht mitschwingen.

Kaum zu erklärende Diskrepanzen

Manche Kinder wurden extrem von ihren Eltern gequält. Dann erscheint es offensichtlich, dass sie nichts mehr mit den Eltern zu tun haben wollen. Befragt man die Eltern, können diese oft nicht nachvollziehen, was die Kinder meinen.

Die Kinder wünschen sich von ihren Eltern häufig eine Entschuldigung oder zumindest emotionales Verständnis für die eigenen Schmerzen in ihrer Kindheit – doch die Eltern können vieles nicht sehen. Zu groß sind (un-)bewusste Scham- und Schuldgefühle sowie Verdrängungsmechanismen. Die Kinder hingegen kämpfen mit der Frage: „Wie schlimm war es nun wirklich?“

Die Kinder kommen irgendwann an den Punkt, an dem sie verstehen, dass sie sich von den Eltern etwas wünschen, was die Eltern nicht leisten können. Sie begreifen, dass sie vielleicht nie mit den Eltern ins Gespräch über das Geschehene kommen können oder wenn sie es können, dann vielleicht nur auf eine unbefriedigende Art.

Die Kinder fühlen sich dabei wie „Opfer“, während die „Täter“ anscheinend ohne Einsicht und „ungestraft“ bleiben. Doch das ist die Crux mit Täter-Opfer-Bildern, denn auch die Eltern fühlen sich als „Opfer“ bzw. waren einst Opfer ähnlicher Situationen. Es liegt eigentlich eine Opfer-Opfer-Situation vor – man könnte auch von einer „Lose-lose-Situation“ sprechen.

Wut und Verzweiflung auf Seiten der Kinder

Betroffene Kinder sind maßlos enttäuscht, klagen an, verachten ihre Eltern und sind wütend. Sie leiden oft dramatisch darunter, dass sie aufgrund des Erlebten kein normales Leben führen konnten und können. Sie sind geplagt von psychischen Erkrankungen, möglicherweise von den Folgen massiver Gewalt, von Beziehungslosigkeit und Einsamkeit. Oft gelingt es ihnen nur mit sehr viel Mühe und mithilfe einer Psychotherapie, eine Partnerschaft aufzubauen und selbst Kinder zu bekommen.

Keine Ernte für die Eltern

Die betroffenen Eltern wünschen sich Verständnis von ihren Kindern – sie wünschen sich vor allem Dankbarkeit und Anerkennung ihrer Mühen. Das wiederum ist etwas, was die Kinder oft nicht geben können – zu schmerzlich war es, was sie erlebten. Erst, wenn Einiges in der Psychotherapie aufgearbeitet wurde und wenn es „nachträgliche Zeugen“ gibt, kann stellenweise auch Dankbarkeit entstehen.

Die Eltern haben das Gefühl, fast alles gegeben zu haben und nichts zurückzubekommen. Kinder wie Eltern spüren einen großen Mangel, ein großes Loch. Es ist eine Leere, die scheinbar nicht gefüllt werden kann. Manchen Eltern und Kindern gelingt es nach einigen Jahren und oft unvorstellbar harter Arbeit die psychischen Begrenzungen anzuerkennen.

Und manchmal schlagen dann an diesem alten Beziehungsbaum ganz neue, frische Äste aus, die beide Seiten überraschen und an denen sich beide Seiten noch spät erfreuen können.

Ich möchte an dieser Stelle gerne die Bücher der Kölner Autorin Sabine Bode empfehlen: Während ihr Buch „Kriegskinder“ den Eltern gewidmet ist, kommen in ihrem Buch „Kriegsenkel“ die Kinder zu Wort. Beide Bücher sind sehr feinfühlig geschrieben.

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Dieser Beitrag erschien erstmals im Mai 2011.
Aktualisiert am 19.8.2020

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