
Es ist sicher eine gute Sache, dass wir heute das Thema „Sexueller Missbrauch“ so offen diskutieren. Aber ich erlebe immer wieder auch die Nachteile. Wo fängt „sexueller Missbrauch“ an? Heute im Schwimmbad: Ein kleines süßes Mädchen mit Schwimmflügeln geht mit einem etwas älteren Jungen ins Wasser. Auf der Treppe tauchen gerade die Badehosen ins Wasser und beide machen Halt. Das Mädchen schaut neugierig auf die Hose des kleinen Jungen.
Beide ziehen ihre Höschen etwas nach vorne und schauen sich gegenseitig da hinein. Wie aufregend! Natürliche kindliche Neugier. Vom Beckenrand plötzlich die erboste Stimme eines älteren Herrn: „Hey, Junge, pass bloß auf, Du, Freundchen!“ Der Junge blickt mich hilflos an, ich zwinkere ihm zu. Irritiert gehen die Beiden ins Wasser. Aus die Freude. Der Junge sah verwirrt aus. Das Mädchen kam mit seiner Neugier ungeschoren davon. Wie traurig, dachte ich.
Manchmal höre ich Sätze wie diese: „Als Kind habe ich meine kleine Schwester mal gefragt, ob ich meinen Pillemann bei ihr reinstecken soll. Und heute habe ich große Angst, dass sie mich des Missbrauchs beschuldigen könnte!“
„Die Patientin wurde missbraucht!“, höre ich, wenn eine neue Patientin in die Klinik aufgenommen wird. Doch was heißt das? Was hat sie genau erlebt? Wurde sie berührt? Wurde sie mit Worten sexuell belästigt? Wurde sie penetriert? War Gewalt im Spiel – oder sagt man sowieso heute immer „sexuelle Gewalt“? Ich erlebe da gerade ein großes Durcheinander.
Wenn Kinder Doktorspiele machen, fragen die Eltern ganz besorgt nach. Es ist, als wolle man heute um jeden Preis jede Beschämung, jede Irritation, jede Erregung, jede Neugier, jede Unsicherheit im Keim ersticken. Ich hörte von einer Familie in den USA, wo ein Junge angezeigt wurde, weil er im Garten vor dem Mädchen in die Büsche gepinkelt hat. Ob es wahr ist, oder nicht – Geschichten wie diese schwirren herum.
Es ist ein schwieriges Thema. Aber vielleicht ist es jetzt an der Zeit, uns für eine mögliche Übersensibilisierung zu sensibilieren.
Eumel meint
Ich musste heute Nacht nochmal über diesen Beitrag nachdenken. Ich sehe da irgendwie zwei Aspekte.
Ich kenne die Erfahrung, dass einem einfach nicht geglaubt wird, wenn sexueller Missbrauch im Raum steht. Ich kenne Aussagen wie z.B. Das kann so schlimm nicht gewesen sein, Das bildest du dir sicher nur ein. Der hätte so etwas niemals mit Dir gemacht, das wurde dir doch eingeredet etc.
Ich finde es trotz dieser (sehr schmerzhaften) Erfahrungen total wichtig, dass Kindern die Möglichkeit zur Neugier und zum Sich-selbst-entdecken gegeben wird. Ich finde das auch besonders in Hinblick darauf wichtig, die eigenen Grenzen zu finden und (dadurch) setzen zu können. Irgendwie gehört für mich zu einem deutlichen „Nein!“ auch ein klares „Ja- sagen- dürfen“.
Naja und neben dem Grenzen erfahren und Grenzen setzten (dürfen), Finde ich, geht Neugier und Lebendigkeit verloren, wenn so übersensibel reagiert wird wie in dem Beispiel oben. Irgendwie verunsichert es Kinder doch auch, wenn sie den Eindruck bekommen, dass (wie in dem beschribenen Beispiel) etwas nicht stimmt (Mit ihnen selber/dem eigenen Körper/ oder dem Verhalten das gerade angenehm empfunden wurde etc.)
Irgendwie wünsche ich mir, nach dem Lesen dieser von Ihnen beschribenen Gedanken, das ich als Kind mehr die Möglichkeit zum spielen gehabt hätte. Häufiger die Chance gehabt hätte auszuprobieren, wie das ist neugierig sein. Vielen Dank. Ich nehme immer wieder neue Gedanken mit.