
„Ich möchte meinen Reizdarm und meine Rückenschmerzen endlich in den Griff kriegen!“, sagt der Betroffene verzweifelt. Das ist doch eine interessante Ausdrucksweise. „In den Griff kriegen“ heißt, danach zu greifen, es festzuhalten, es zu kontrollieren, ja sogar es einzuengen oder aggressiv zu zerquetschen. „Ich hab’s geschafft!“, verkünden manche und erzählen, was endlich geholfen hat, um „es in den Griff zu kriegen“. Doch einige Wochen später entgleitet ihnen der Erfolg. Der Körper kommt ihnen erneut in die Quere.
„Mein Darm bestimmt mein ganzes Leben! Ich kann nicht einkaufen gehen, wenn ich nicht weiß, wo die nächste Toilette ist!“, klagt eine Patientin. „In meinem Körper wächst ein Tumor und ich kann nichts dagegen machen“, sagt ein anderer. Der Körper hat UNS im Griff.
Wie kann es doch noch zu einer guten Beziehung zu unserem eigenen Körper kommen?
In unserem Körper bringen wir vieles unter: unsere Gefühle, unsere Ängste, Wünsche und Vorstellungen. Aus körperlichen Signalen entstehen Gedanken: „Meine Wut bleibt mir im Hals stecken“, sagen wir und sind auf diesen Gedanken gekommen, weil sich tatsächlich im Hals körperliche Reaktionen abgespielt haben.
Äußere Beziehungen beeinflussen unsere Beziehung zum Körper
Wie wir unseren Körper erleben, hängt eng damit zusammen, welche Erfahrungen wir mit unseren Eltern gemacht haben. Hatten wir Eltern, die unsere Gefühle aufnehmen konnten, so haben wir auch in unserem psychischen Raum die Vorstellung von Weite oder von einem „Container“, der die Gefühle aufnimmt. Vielleicht stellen wir uns bei Kummer oder Wut unsere liebevolle Mutter vor oder unseren tröstenden Partner, unseren Psychoanalytiker oder einen anderen Menschen. Wir stellen uns vor, wie diese Menschen mit uns umgehen, wenn wir traurig oder wütend sind. Können sie unsere Gefühle aufnehmen? Können wir mit ihnen darüber sprechen?
Wenn die Kommunikation fehlt
Haben wir die Erfahrung gemacht, dass unsere Eltern sich nicht für unsere Gefühle öffneten und diese nicht aufnahmen, so blieben wir körperlich auf unseren Reaktionen und Gefühlen sitzen: Wir wurden unruhig, bekamen Atemnot, Verstopfung oder Durchfall. Wenn wir wütend werden, ohne „gute innere Objekte“ (also die Vorstellung von guten anderen Menschen) zu haben, dann stecken wir unsere Wut sozusagen in unseren Körper: Wir fressen sie in uns hinein, wir verspannen uns, bekommen Rückenschmerzen oder reagieren uns aus, indem wir vielleicht sogar handgreiflich werden.
Ein innerer Kampf mit unserem Körper ist oft auch ein mehr oder weniger bewusster Kampf mit unseren wichtigsten Bezugspersonen. „Ich will dieses Jahr den Marathon schaffen“, sagt der Läufer, der als Kind oft das Gefühl hatte, seinem Vater etwas beweisen zu müssen und nicht gut genug zu sein.
„Ich bin in diese Yoga-Stellung gekommen!“, strahlt eine Kursteilnehmerin. Sie hat das Gefühl, nun Macht über den Körper zu haben. Sie freut sich wie ein Baby, das bei Betrachtung der eigenen Hand auf einmal merkt, dass es sie steuern kann und dass sie zu ihm gehört. Es ist ganz ähnliche Freude wie die Freude, die wir empfinden, wenn wir außerhalb von uns etwas steuern können – wenn wir unser Musikinstrument beherrschen oder im Bogenschießen gut getroffen haben.
Das Baby, das an einem Seil zieht und merkt, dass sich am anderen Ende etwas bewegt, ist tief beglückt. Wir spüren unsere Selbstwirksamkeit mithilfe unseres Körpers.
Oft aber merken wir: Der Körper beherrscht uns. Bei einer Magen-Darm-Grippe macht unser Körper mit uns, was er will.
„Schluss jetzt!“, denken wir ungeduldig
Wenn unser Körper nicht so funktioniert, wie wir es uns wünschen, wenn er uns unseren Alltag madig macht oder wenn wir sogar bedrohlich erkrankt sind, dann ist es oft aus mit der guten Beziehung zu ihm. Ähnlich wie wir in unseren mitmenschlichen Beziehungen sauer auf den anderen werden, wenn er uns nicht versteht, so werden wir wütend auf unseren Körper, wenn er uns ohnmächtig fühlen lässt. Was dann?
Wir merken oft, dass wir unseren Körper eben nicht „in den Griff kriegen“ können und dass das auch irgendwie etwas Gewaltsames wäre.
Wir sind unserem Körper oft ausgeliefert, aber was wir immer tun können, ist, ihn zu beobachten. Manchmal sind die körperlichen Reize so groß, dass wir uns überwältigt und ganz umfangen fühlen von den körperlichen Reaktionen. Dennoch kann es uns gelingen, die körperlichen Reaktionen zu beobachten und mit unserer Atmung in Verbindung zu bleiben.
Sich der Atmung hingeben
Wir können in Kontakt kommen mit unserem Körper. Und wir können versuchen, ihn gelassen zu beobachten. Vielleicht können wir vertrauensvoll denken: „Er wird schon tun, was sinnvoll ist. Er arbeitet ganz von alleine.“ Und auch das wiederum können wir leichter fühlen oder denken, wenn wir eine ähnlich vertrauensvolle Beziehung zu unseren engsten Bezugspersonen haben.
Wenn uns der Körper bei schwerer Krankheit zu quälend wird, können wir Wege nach Erleichterung suchen, z.B. bei Schmerztherapeuten, in der Palliativmedizin oder in der Schweiz …
Eine Mutter, die ihrem wütenden Kind gelassen begegnen und weiter über das Kind nachdenken kann, wird feststellen, dass sich das Kind wieder beruhigt, wnnn sie aufmerksam bleibt und da ist. Und so können wir auch die Unruhen in unserem Körper gelassen beobachten oder besser gesagt: betrachten. Unser Körper ist Natur.
Manchmal kommt es in der Natur zu einem Tsunami. Ein Baum kann von Pilz befallen, morsch und alt werden und dann sterben. Unser Körper ist ein Teil der Natur. Er kann uns quälen oder aber Lust bereiten. Doch egal, was er tut: Wir können Kontakt mit ihm aufnehmen, interessiert bleiben oder auch über unsere Ohnmachtsgefühle nachdenken. Auf jeden Fall können wir Respekt vor ihm haben und ihn respektvoll behandeln. Es lohnt sich, nach Wegen zu einer guten Beziehung zu ihm zu suchen. Vielleicht haben wir sie ja gerade gefunden.
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