
Manche unbewussten Phantasien führen zu starker Verwirrung. Nicht nur bei schizophrenen Patienten entstehen oft rätselhafte Situationen. Diese haben oft mit der unbewussten Phantasie zu tun, in jemanden reinzusteigen oder jemanden zu verschlingen. Gerade auch bei Magersucht, Borderline und Angststörungen können solche unbewussten Phantasien bestehen. Daher empfinden viele Menschen mit psychischen Störungen das Zusammensein mit anderen auch als so belastend. Ausklamüsern, was hier passiert, kann meines Erachtens nur die Psychoanalyse, da die Beziehung zum Analytiker so eng ist.
Eine Passage aus einem Aufsatz des Psychoanalytikers Herbert Rosenfeld (1910-1986) macht das deutlich:
„Dann … fragte (sie): ‚Warum ahmen Sie mich nach?‘ Ich deutete das so, dass sie sich selbst in mich hineinversetzt hatte, dass sie glaubte, ich sei sie …. Ich erklärte ihr, das sei der Grund dafür, warum sie sich so eingeschlossen fühlte, wenn sie in meine Wohnung kam und warum sie vor mir fliehen musste. Das schien sie sehr zu erleichtern … und sie sagte: „Sie sind der beste Mensch auf der Welt.“ Ich deutete diesen Ausspruch so, dass sie glaubte, ich sei so gut, so dass sie in mir sein und meine Güte besitzen wollte. … Nach diesen Deutungen des Glaubens der Patientin, sie sei in mir, gelang es ihr, sich aus mir zu befreien und das verringerte ihre Verwirrtheit. Nun nahm sie mich bewusster als externes Objekt wahr und vermochte zu sprechen …“
(Rosenfeld, Herbert, 1954: Consideration regarding the Psycho-Analytic Approach to Acute and Chronic Schizophrenia. International Journal of Psycho-Analysis 1954, 35: 135-140, https://search.proquest.com/openview…
In: Searles, Harold F.: Der psychoanaltische Beitrag zur Schizophrenieforschung. Psychosozial-Verlag 2008: S. 215)
modean meint
Hallo Frau Voos,
ich habe zwischenzeitlich noch einen Artikel ueber Rainer Maria Rilke mit dem Titel „Sprache als Haltefunktion“ gefunden.
https://www.aerzteblatt.de/archiv/209499/Rainer-Maria-Rilke-Sprache-als-Haltefunktion
Wenn mit Haltefunktion das Containment gemeint ist, dann wuerde ich eher sagen, dass die Fusion bzw. die Manie das Containment ist und die Sprache das Werkzeug der Fusion/Manie. Das Gedicht waere dann das Produkt der Fusion/Manie.
Die Konzept Manie/Schulddepression bzw. Autismus/Fussion sind im Artikel „Die Psychodynamik der Psychosen“ ganz gut erklaert.
https://link.springer.com/article/10.1007/s002780050085
Vom selben Autor gibt es auch ein Buechlein mit dem Titel „Depression und Manie“ sowie ein weiteres mit dem Titel „Das Schoepferische in der Psychose“.
modean meint
Hallo Melande,
nachdem ich den Kommentar geschrieben hatte, habe ich mich gefragt woher diese Phantasie der Geburt und des schwanger seins aber woher auch die Angst vor der Geburt vor dem los lassen kommen mag.
Tatsaechlich sammele auch ich zu bestimmten Themen sehr viel. Manchmal entwickelt sich so etwas dann zu einem Exzess. Das geht teilweise so weit, dass ich nicht los lassen kann. Die Geburt hat dann nie stattgefunden. Ein Promotionswunsch faellt beispielsweise unter diese Kategorie.
Da wo die Geburt nie stattgefunden hat, war der Hauptwiderstand der, dass ich das Thema nicht vollkommen verschlingen, mir einverleiben konnte. Bei der Promotion ist es beispielsweise so, das ist sicherlich etwas zutiefst menschliches, dass man die Promotion nicht nur an den eigenen Interessen, sondern eben auch an denen des Betreuers (Doktorvater) und dann eben auch an der Realitaet orientieren muss. Das hat sich fuer mich immer als etwas fremdes angefuehlt. Es war dann nicht mehr meins. Es gehoerte nicht mehr zu mir.
Meine Hypothese zu der Eingangs erwaehnten Geburtsangst beschreibe ich mit folgenden Gedanken:
„Da es sich um eine sehr basal, nicht greifbare, da nicht mentalisierbare, durch Angst aber auch durch einen oralen Modus motivierte Phantasie (die des Verschlingens und des Sammelns) handelt, gehe ich spekulativ von der Hypothese aus, dass mein intrauterines Erleben eng mit dieser Phantasie verbunden ist. Es ist das Erleben schon im Mutterleib ein Container gewesen zu sein und daran anknüpfend ist die Angst verbunden, dass ich in eine feindliche Welt hinein geboren werde.“
Melande meint
Der Kommentar von „modean“ hat mich angeregt:
Ich bin schon seit geraumer Zeit dabei, mehere Fragebögen für eine Uni-Klinik für spezielle seltene Erkrankungen auszufüllen. Eine davon betrifft mich seit meinem 7. Lbj: Lipodystrophie, Oberkörper).
Ich sammle möglichst alles, was dazugehört(e) (eigene Erfahrungen und Außenbeurteilungen/z.B. schulmedizinische Befundberichte), gehe sozusagen mit diesem „Projekt“ „schwanger“. Je länger es in mir arbeitet, desto mehr stelle ich den großen Unterschied fest zwischen MEINER Sichtweise/meiner aktuellen Befindlichkeit und der, die VON AUSSEN kommt. Ein Bogen (offizieller Anmeldebogen) wird SOWOHL vom überweisenden Arzt ALS AUCH von mir unterschrieben, es sollen vier Hauptsymptomatiken eingetragen werden. Mein Hausarzt hat gesagt, ich möge das selber ausfüllen.
Ich schaffe es aber nicht zu trennen zwischen der diagnostischen Sichtweise der Ärzte (z.B. „chronisches Schmerzsyndrom“), die ich zwecks Ausfüllen versucht habe, mir „einzuverleiben“, und meinen eigenen Körperwahrnehmungen (die sich ganz ganz anders, viel differenzierter, „wirklichkeitsnäher“, ausnehmen).
Das, was ich bis jetzt „verschlungen, mir einverleibt“ habe bei meiner gesamten „Stoffsammlung“, muss im fertigen Ergebnis, bei der „Geburt“ dann von mir abgetrennt werden, und soll (meine Hoffnung) von beiden Seiten (Ärzte – ich) als brauchbar verwendet werden können, für deren Forschung und für mein weiteres Leben/meine weitere Gesundheit.
Das „Thema“ ist für mich sehr schwierig (es ufert immer mehr aus), es fällt mir sehr schwer, Ein- und Abgrenzungen, Verkürzungen und Vereinfachungen vorzunehmen (die Sichtweise und Bedürfnisse DER ANDEREN sich vorzustellen), um „es“ dann endlich (hoffentlich bald!!) bei der „Geburt“ wieder von mir zu trennen.
Liebe weihnachtliche Grüße von
Melande
modean meint
Danke Frau Voos. Irgendwo ist es dann auch so, dass mich der Artikel inspiriert hat. :)
Dunja Voos meint
Vielen Dank für diesen inspirierenden Kommentar, lieber modean!
modean meint
Hallo Frau Voos,
mitunter (Hypothese/Spekulation) beschraenkt sich das von Ihnen beschriebene Phaenomen nicht nur auf die zwischenmenschliche Interaktion.
Ich kann mir gut vorstellen dass auch sachliche Objekte wie beispielsweise ganze Themengebiete verschlungen/einverleibt werden muessen. Dies ist dann ein intensiver Prozess. Man ist nicht nur man selbst sondern man ist auch das Thema. Man ist mit dem Thema schwanger. Man weiss dann intuitiv, dass das was man verschlungen hat, neu geboren werden muss. Vor der Geburt hat man dann Angst, dass das was geboren werden muss, keinen guten Start in’s Leben bekommt, dass es nvon der Welt nicht angenommen wird. Das ganze Denken fokussiert sich dann auf den Moment der Geburt. Erst mit der Geburt, ist das eigene Selbst wieder getrennt von dem, was man sich einverleibt hat.
So stelle ich mir beispielsweise die wissenschaftliche Schaffenskraft eines John Forbes Nash oder eines Hugh Everett vor.