
Wenn wir Schmerzen im Bein empfinden, ist die Sache eindeutig: Oben im Kopf haben wir eine Psyche und wir denken klar, dass wir jetzt eine Schmerztablette nehmen werden. Ein körperlicher Schmerz kann uns den Unterschied zwischen Soma und Psyche ganz deutlich machen. Besonders bei Schmerzen von Armen, Beinen oder Rücken, wo die quergestreifte (die willentlich beeinflussbare) Muskulatur sitzt, sind wir meistens Herr unserer Sinne. Körperliche Schmerzen können unser Bewusstsein schärfen. Kopf- und Zahnschmerzen hingegen sind oft so kompliziert, weil sie unserer Psyche so „nahe“ sind.
Bei vielen Arten von Körperschmerz haben wir immer noch die Kontrolle über uns selbst – es sei denn, dass der Schmerz so groß wird, dass er uns ganz übermannt.
Bei anderen Krankheiten scheinen sich Körper und Psyche mehr zu vermischen, besonders wenn die vegetativen Systeme beteiligt sind, also Verdauungstrakt und Atmung. Wenn wir Fieber und eine schwere Erkältung haben, wobei die Lunge mitbetroffen ist, dann fühlen wir uns wie benebelt. Psyche und Körper scheinen mehr zu verschmelzen. Wenn uns übel ist, sind wir im Ganzen betroffen – wir wollen sterben und fühlen uns „sterbenkrank“. Wir können nicht mehr klar denken. Wir wollen allein sein oder wünschen uns eine liebe Person, die unsere Hand hält.
Wieder Ganzwerden durch Trennung
Wenn wir uns dann aber „über-geben“ und den Mageninhalt ausstoßen, werden wir wieder klarer. Wir können beim Uns-Übergeben oft erstaunlich klar denken. Wir erleben den Körper wieder getrennter von der Psyche. Das „er-leichtert“ uns.
Auch wenn wir Durchfall am Ende einer Magen-Darm-Grippe haben, können wir Psyche und Körper klar unterscheiden und geradezu fasziniert sein davon, was der Körper alles zustandebringt. Wenn wir aber Durchfall im Rahmen eines Reizdarm-Syndroms bekommen, sieht es anders aus: Dann fühlen wir uns voller Angst. Es ist nicht mehr klar: Habe ich eine Panikattacke oder habe ich nur Durchfall? Im Körper herrscht Chaos, Psyche und Soma vermischen sich.
Diese „Vermischung“ hängt auch eng zusammen mit anderen Personen. Bei einer Panikattcke oder einem Reizdarmdurchfall erscheint uns die innere und äußere Welt wie im Chaos. Wenn wir alleine sind, ist der Darm oft kein Problem. Aber im Zusammensein mit anderen scheint sich etwas zu vermischen. Wir fühlen uns einerseits unverstanden, andererseits aber vielleicht auch wie verschmolzen mit dem anderen.
Dahinter können unbewusste Phantasien stecken: Bin ich in den anderen eingestiegen (= habe ich mich zu sehr eingefühlt oder angepasst)? Habe ich den anderen gefressen (aus Aggression oder aus Liebe)? Will ich den anderen ausspucken und ausstoßen, um mich wieder zu sortieren? („Ich finde Dich zum Kotzen!“)
Fragen wie diese erscheinen auf den ersten Blick absurd. Doch in Psychoanalysen kommen solche Phantasien oft zum Vorschein. Unser Unbewusstes vergisst nichts. Ursprünglich befanden wir uns im Bauch der Mutter und waren „in ihr drin“. Gleichzeitig haben wir auch etwas von der Mutter aufgenommen, als wir das Fruchtwasser tranken und später die Milch. Da war die Mutter dann „in uns drin“. Wenn ein Paar miteinander schläft, dann dringt der Mann ein und die Frau hat „ihn in sich“. Verschmelzungserleben haben wir ein Leben lang immer wieder.
Entwicklung heißt Differenzierung
Menschliche Entwicklung heißt, aus der gefühlten körperlichen Einheit (mit der Mutter oder bei Zwillingen mit dem Geschwister) herauszuwachsen und eine eigene Person zu werden. Ent-wicklung heißt auch Trennung, Individuation, Separation, Sortieren, Innen und Außen differenzieren und Grenzen aufbauen, damit eine neue Form von Nähe möglich wird.
Bei der Geburt wird man ent-bunden und neu ver-bunden.
Im Laufe der Entwicklung trennen sich auch Soma und Psyche. Während das Kind einfach nur „Bauchweh“ hat, können wir als Erwachsene sagen, dass wir Kummer haben, aber dass unser Bauch in Ordnung ist.
Unseren Körper und unsere Psyche können wir wie getrennt oder ungetrennt empfinden. Bei Gesundheit empfinden wir uns im positiven Sinne oft als „Eins“, bei Krankheit aber auch oft im negativen Sinne als „Eins“, z.B. wenn vegetative Symptome wie Schwindel oder Fieber auch unser Bewusstsein vernebeln.
Schlaf und Traum
Wenn wir schlafen und träumen, empfinden wir uns oft auch nicht mehr als eigenständige Person. Je weniger bewusster Anteil in unserem Traum ist, desto mehr „schmilzen“ wir im Traum.
Manchmal sind wir im Traum Beobachter, manchmal sind wir aber auch voll involviert. Wir können Verdichtungen „außen“ beobachten (z.B. der stahlharte Chef mit schwarzem Haar und Hund aus der Realität wird im Traum verdichtet zu einem Stahlcontainer mit schwarzem Deckel und Werbung für Hundenahrung darauf) oder aber wir sind selbst in eine Verdichtung involviert: Wir sehen unsere Hände auf einmal mit Fell oder tragen komische Kleidung.
Wenn uns bewusst ist, dass es solche Vorgänge gibt, können wir uns selbst besser verstehen. Wir können solche Vorgänge und unangenehmen Empfindungen oft nicht verhindern oder kontrollieren, aber wir können vielleicht etwas denkfähiger bleiben, wenn wir demnächst wieder in Ängste verwickelt sind. Allein das kann das Leiden etwas lindern.
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