
Wir können im MRT inzwischen viel sehen: Was passiert mit dem Schmerzempfinden, wenn jemand meditiert? Wo im Gehirn sitzt die Angst (der Mandelkern = die Amygdala spielt eine große Rolle), wo sitzt das Taktgefühl („Takt“ im Sinne von respektvollem Verhalten). Was aber viel zu komplex ist, um es darstellen zu können, ist der „Sitz“ der inneren Objekte. Unsere „inneren Objekte“ sind die Menschen, die wir uns vorstellen können und denen wir sehr nahe stehen. Ob gewollt, oder ungewollt: Zu unseren wichtigsten inneren Objekten zählen Mutter und Vater bzw. die Menschen, bei denen wir groß wurden.
Aktive Vorstellung
Wir können uns ein „inneres Objekt“ gezielt vorstellen, indem wir z.B. sagen: „Ich möchte jetzt an meinen verstorbenen Großvater denken.“ Wenn wir an ihn denken, können gleichzeitig die Gefühle wachgerufen werden, die wir hatten, wenn wir mit dem Großvater zusammen waren.
„Der Begriff „inneres Objekt“ kommt bei Freud überhaupt nicht vor.“ Mertens/Waldvogel: Handbuch psychoanalytischer Grundbegriffe, Kohlhammer, 3. Auflage: S. 521
Unbewusste Vorstellung
Die „inneren Objekte“ „beeinflussen“ uns aber auch, wenn wir nicht bewusst an sie denken. Wenn wir eine ausgeglichene, zuversichtliche, einfühlsame Mutter* hatten (das Idealbild!), dann fühlten wir uns in der engen Beziehung sicher. Unsere Gefühle durften da sein, wir konnten uns mit der Mutter schon früh darüber austauschen (z.B. über das Weinen, Lachen, über Körperhaltungen) und später konnten mit ihr darüber sprechen. Wenn wir als Erwachsene eine andere enge Beziehung, z.B. zu einem Partner, eingehen, dann werden wieder ähnliche Gefühle und Vorstellungen wachgerufen, die die „enge Beziehung“ zur Mutter in uns auslöste: Sicherheit, Wohlgefühl, Vertrauen und Entspannung.
Manche Menschen sind in Wirklichkeit sehr einsam, aber sie haben so viele „innere Zuschauer“, dass sie sich nicht einsam fühlen.
Zu eng!
Manche Menschen werden jedoch schon nervös, wenn sie den Begriff „enge Beziehung“ lesen. Sofort haben sie eine Vorstellung davon und denken vielleicht: „Ich will da raus! Ich muss um mich schlagen! Ich muss Ketten zerreißen!“ Bis zu einem gewissen Grad haben wir diese Vorstellung alle, eben weil jeder Mensch auch Freiraum braucht und allein der Begriff „Enge“ bei uns „Angst“ auslösen kann (die Worte sind eng verwandt). Doch Menschen, die eine uneinfühlsame Mutter hatten, vielleicht eine depressive, abweisende, brutale und abwesende Mutter, verbinden mit der Vorstellung, einem anderen Menschen nah zu sein, viel eher die Vorstellung von „Weglaufen-Wollen“.
Manchmal fühlen wir uns einem abwesenden Menschen nah, manchmal nicht. Manchmal fühlen wir uns von einem anderen verfolgt oder weggestoßen. Körperliches Wohlgefühl kann die Beziehung zu unseren inneren Objekten verbessern, Krankheiten können sie verschlechtern. Bei Psychosen werden die Gefühle und Bilder, die die „inneren Objekte“ auslösen, sehr stark.
Erneut
Wenn wir mit inneren Objekten herumlaufen, die uns überwiegend nicht gut taten, werden auch andere Beziehungen schwierig. Zum Einen kann es passieren, dass wir uns ähnliche Menschen aussuchen, die es uns schwer machen. Zum Anderen aber – und das ist viel entscheidender – werden wir andere Menschen rasch so empfinden wie wir unsere Eltern empfanden. Das passiert besonders dann, wenn wir uns dieser Vorgänge nicht bewusst sind.
Wir träumen oft von unseren inneren Objekten. Sie sind jedoch auch Teil von uns selbst. Wenn wir träumen, dass unser Chef sauer auf uns ist, dann sind wir selbst vielleicht auch sauer auf uns oder auf den Chef. Was gehört zum anderen, was zu mir? Um das zu „sortieren“, nutzen wir unsere inneren Objekte.
Ratzfatz
Wenn wir keinen Abstand zu unserem inneren oder äußeren „Objekt“ (= „Menschen“) haben, beginnen wir rasch, zu projizieren.
Beispiel: Ich gehe „fröhlich“ zum Partner und habe meine eigenen Gründe für schlechte Laune (z.B. den Steuerbescheid von heute) verdrängt. Ich sehe den Partner und habe das Gefühl, er sei schlecht gelaunt. Aber lese ich das richtig bei ihm ab? Er hat noch gar nichts gesagt, ich habe nur seine Körperhaltung gesehen und wer weiß, an wen diese Haltung mich erinnerte, oder an welche Situation oder an welches Gefühl. Ich unterstelle dem Partner schlechte Laune und gehe davon aus, dass seine schlechte Laune über mich überschwappt wie der Kaffee, der aus der umgeworfenen Tasse über die Frankfurter Allgemeine läuft. „Jetzt hast Du mich mit Deiner schlechten Laune angesteckt“, sagen wir. Das geht Ratzfatz.
Das Negative da draußen
Negative Gefühle wollen wir ausscheiden und nicht behalten. Wir können sie vielleicht schlecht „containen“, also in uns selbst halten und wiegen. Das passiert sehr leicht, wenn wir z.B. eine sehr strenge Mutter hatten, bei der wir „lieb“ sein mussten. Da mussten wir unser „Schlechtes“ irgendwo hin tun. Wenn die Mutter dann passenderweise böse war, konnten wir leicht sagen: Die Mutter ist böse und wütend, ich bin gut. Der Preis war höchstens eine diffuse Angst oder das Gefühl, nicht „real“ zu sein. Das Problem ist aber, dass wir dann später diesen Mechanismus immer wieder gebrauchen und auch auf andere Personen anwenden: Der andere ist „böse“, wir fühlen uns selbst „gut“, dabei haben wir unser eigenes „Böses“ nur beim anderen untergebracht. Auch wenn der andere physisch dann weg ist, geht diese Vorstellung innerlich in uns weiter.
Wenn wir uns ändern, ändert sich das Objekt
Wir haben in unserer Innenwelt viele Spiele, z.B. ein Puzzlespiel, ein Puppenspiel, ein Fang-den-Hut-Spiel. Wir haben ein „Hütchen“, das sind wir selbst (die Vorstellung von uns selbst) und wir bringen da die verschiedenen Gefühlspuzzleteile unter. Dann haben wir innerlich ein weiteres „Hütchen“, das ist der andere, z.B. die ehemalige Mutter oder der jetzige Partner, der vor uns steht (die Vorstellung von ihm). Beim anderen gibt’s auch Puzzleteile, aber wir wissen vielleicht noch nicht, wie der Partner wirklich drauf ist. Er hält seine Teile noch versteckt unter dem Hütchen. Wir schieben unsere hässlichen Puzzelteilchen unter sein Hütchen. Und dann haben wir Angst, es kommt zurück. „Du machst mir immer schlechte Laune!“, schreien wir ihn an, obwohl der andere nichts getan hat.
Bei einer Psychoanalyse hilft es sehr, sich auch mit dem Körper zu beschäftigen. Bei Bewegungsabläufen in Meditation, z.B. beim Yoga, Tai Chi oder Chi Gong können wir auch unsere Gefühle beobachten. Denn bestimmte Körperhaltungen können bestimmte Gefühle hervorrufen und in der Kommunikation mit unseren inneren und äußeren Objekten nehmen wir immer auch bestimmte Körperhaltungen ein.
In den anderen reinklettern
Manchmal steigen wir in unserer Vorstellung sogar ganz in den anderen (in das äußere Objekt) hinein, um ihn zu erkunden. Wie fühlt er sich? Danach wollen wir uns richten, wenn wir es so als Kind extrem lernten. Wir selbst bleiben wie eine leere Hülle zurück. Oder aber der andere „steigt in uns hinein“ bzw. wir haben den anderen „gefressen“ (wir hatten ihn zum Fressen gern, oder wir ärgerten uns so, dass wir ihn „gefressen“ haben). Vielleicht erleben wir dann den anderen wie eine leere Hülle, ja wie einen Geist. Wenn der andere „in uns“ ist bekommen wir Bauchschmerzen, ein Reizdarmsyndrom, oder Durchfall. Diese Vorstellungen sind meistens unbewusst, können aber z.B. in einer Psychoanalyse bewusst werden. Manchmal finden sich solche Bilder auch in unseren Träumen wieder.
Wenn wir ein Gefühl fühlen, verbinden wir das manchmal mit einem bestimmten Menschen, an den wir denken. Das Bild dieses Menschen in uns ist ein „inneres Objekt“. Wenn wir auf unsere Schwester neidisch waren, kommt uns vielleicht die Schwester in den Sinn, wenn wir Neid verspüren. Innere Objekte sind mit Gefühlen verbunden.
Oszillieren
Wann immer es uns schwer fällt, unsere eigenen Gefühle in uns zu halten, kann es passieren, dass wir uns zwischen den verschiedenen Vorstellungen schnell hin- und herbewegen.
Das sagt man oft den Borderline-Patienten nach, dass sie blitzschnell ihre Stimmungen verändern und zwischen den verschiedenen inneren Objekten hin- und herwandern. Manchmal ist der andere gut und man selbst ist schlecht, oder umgekehrt. Doch auch bei weitgehend gesunden Menschen können diese Vorgänge ablaufen. Sie müssen jedoch vielleicht nicht sofort darauf reagieren oder können es besser aushalten und angstfreier wahrnehmen. Die Therapie besteht darin, selbst zum „ganzen Menschen“ zu werden und die inneren Vorgänge spielerischer mit mehr Abstand zu beobachten.
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*“Mutter“ steht hier stellvertretend für die Menschen, die uns am nächsten stehen. Vater, Geschwister, Partner, Großeltern, Lehrer, Therapeuten, Kinder sind ebenfalls entscheidende „innere Objekte“.
Dieser Beitrag erschien erstmals am 1.11.2018
Aktualisiert am 20.10.2019
hubi meint
… und wie die worte angst und eng miteinander verwandt sind: in der niederlande fühlt man sich ‚eng‘, wenn man angst hat. eng bedeutet beängstigend.