
„Machst Du bitte die Türe zu? Es wird kalt.“ Wie fühlt es sich an, wenn jemand so etwas zu Ihnen sagt? Irgendwie ist es doch ungewohnt. Es klingt, als würde der andere sich über Ihre Nachlässigkeit ärgern. Manch ein Selbstsicherheits-Trainer würde behaupten: „Es geht doch nur um die Sache. Ein persönlicher Angriff ist das nicht.“ Aber warum fühlt es sich so an? Weil eine solche Aussage uns einfach sprachlich zu nah kommt. So, wie wir körperlich einen Abstand von etwa einem Meter zum Nächsten brauchen, benötigen wir auch einen gewissen sprachlichen Abstand.
Wir können uns klar ausdrücken und die anderen dabei mit berücksichtigen: „Ich würde gerne die Fenster schließen, weil mir kalt wird. Ist das in Ordnung?“ fühlt sich anders an als: „Ich möchte, dass die Fenster geschlossen werden.“ Die zweite Ausdrucksweise findet sich häufig bei Menschen, die gerade eine Verhaltenstherapie begonnen oder ein Kommunikationsseminar besucht haben.
Der Wohlfühl-Abstand
Floskeln, Füllworte und Höflichkeitsformeln führen dazu, dass wir uns nicht bedrängt fühlen. So fühlt es sich weniger absolut an: „Könntest Du vielleicht die Türe zumachen?“ „Proxemik“ ist der Fachausdruck für das „Raumverhalten“, das wir zeigen. Wie nahe wir einem anderen kommen dürfen, unterliegt ungeschriebenen Gesetzen. In der Gesellschaft haben sich gewisse Distanzen eingebürgert – und die sind von Kultur zu Kultur verschieden. Ein „Würde, Könnte und Vielleicht“ ist also mehr als eine Floskel: Es ist das Zeichen dafür, dass der andere einfühlsam mit uns umgeht und unsere Grenze respektiert.
Verwandte Artikel in diesem Blog:
Lese- und Videotipp:
Armin Poggendorf:
Proxemik – Raumverhalten und Raumbedeutung.
Umwelt & Gesundheit 4/2006: 137–140 (PDF)
Dr. Elisabeth Oberzaucher:
Tele-Akademie: Homo Urbanus
SWR-Fernsehen, 3.2.2019
ardmediathek
Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am: 22.10.2011
Aktualisiert am: 3.2.2019
Robby meint
Hallo
Sehr spannendes Thema und auch das PDF regt zum „drüber-nachdenken“ an, einiges ist mir aus dem Gesamtzusammenhang non-verbaler (körpersprachlicher) Kommunikation bekannt.
Der Einbezug sprachlicher Äußerungen als Ausdruck ‚proxemischer‘ Grenzziehung ist mir neu, ich interpretiere die gehäufte Nutzung von „Floskeln“ eigentlich meist eher als Ausdruck unstrukturierten Denkens / unklarer Haltung.
Hier würde mich dann auch folgendes interessieren: Erkrankungen der Haut (Haut als „Grenze-Beriech“ zwischen Innen / Umwelt verstanden) werden gelegentlich als Ausdruck einer konflikthaften Innen/Außen-Beziehung verstanden. Gibt es hier dann Krankheitsbilder die sich auf proxemisch bedingte ‚Grenzverletzungen‘ zurückführen lassen und mit welcher (statistischen)Sicherheit läßt sich soetwas dann wohl feststellen.
Robby