Wohl die meisten Menschen, die eine Psychoanalyse beginnen, sind zutiefst verzweifelt. Bei ihnen geht es häufig um Leben und Tod und um unaushaltbare Zustände. Mit einer Psychoanalyse, die 4-mal pro Woche im Liegen auf der Couch stattfindet, lassen sich viele neue Lebensgefühle wecken.
Jahrelange Bindung
Psychoanalyse will grundsätzlich verstehen. Was geht in mir vor, wenn ich Todes-Angst habe oder mich auf immer verloren fühle? Warum grübele ich und kann nicht mehr aufhören? Woher kommt mein unbändiger Hass? Auf solche Fragen lassen sich häufig wirklich befriedigende Antworten finden. Viele, zutiefst verborgene Phantasien, können ans Licht kommen.
Unbewusste Phantasien sind Schwerpunkt einer Psychoanalyse, die oft viele Jahre dauert.
Zahlen die Kassen?
In der Sprache der Krankenkassen spricht man von „analytischer Psychotherapie“. Wenn der Psychoanalytiker an das Krankenkassensystem angeschlossen ist, übernimmt die Krankenkasse häufig die Kosten für bis zu 300 Stunden. In der Regel findet die „Analytische Psychotherapie“ dreimal in der Woche statt – unter (klassischer) „Psychoanalyse“ verstehen viele Analytiker jedoch eine hochfrequente Psychoanalyse mit vier bis fünf Stunden pro Woche im Liegen auf der Couch.
„Analytische Psychotherapie“ ist nicht zu verwechseln mit dem Begriff der „Analytischen Psychologie“ nach Carl Gustav Jung.
In Sonderfällen finanziert die Krankenkasse auch mehr als 300 Stunden Analytische Psychotherapie. In zahlreichen Fällen zahlt die Krankenkasse jedoch gar nicht oder nicht lange genug, was viele Patienten in tiefste Verzweiflung stürzt.
Der Patient lernt, sich selbst zu verstehen.
Wer in Kaufhäusern unter Panikattacken leidet, hat unbewusst vielleicht nur Angst, mit Vergnügen bis zum Umfallen shoppen zu gehen. Wer in einem Aufzug „Platzangst“ bekommt, hat vielleicht Angst vor seiner eigenen Wut auf den Kollegen, der mit ihm im Aufzug steht. Er hat quasi Angst, „zu platzen“. Vielleicht aber wird es ihm in der Enge auch wieder allzu stark bewusst, dass er sich in seinem Körper wie gefangen fühlt. Es werden vielleicht vergangene traumatische Körpererfahrungen in Erinnerung gerufen.
In einer Verhaltenstherapie würden – vereinfacht gesagt – Therapeut und Patient so lange Aufzug fahren, bis die Angst verschwunden ist. In einer Psychoanalyse geht man der unbewussten Ursache der Angst nach. Sobald die Angst verstanden ist, wird sie so erträglich, dass sie das Leben nicht mehr so stark einschränkt. Viele Ängste vergehen auch ganz.
Viel mehr als nur Reden
Die Psychoanalyse erforscht das Zusammenspiel von bewussten und unbewussten seelischen Vorgängen. Wie sich diese Kräfte auf das Verhalten und das Erleben auswirken, untersuchen Analytiker und Patient gemeinsam. Beide beginnen mit einem gemeinsamen Nicht-Wissen und finden Stück für Stück heraus, wieso sich der Patient so fühlt, wie er sich fühlt. Dadurch erhalten die Patienten sozusagen Anker – unangenehme schwebende Zustände hören dadurch oft auf.
In der Psychoanalyse liegt der Patient auf der Couch und der Analytiker sitzt hinter ihm. So können sich beide nicht ins Gesicht sehen. Dadurch kann jeder, wenn er möchte, die Augen schließen und freier seinen Gedanken nachgehen. Zwar kann der Patient die Reaktionen des Analytikers nicht mehr im Gesicht ablesen, aber er bekommt „große Ohren“ und orientiert sich an Geräuschen, Gefühlen und Stimmungen. Dadurch wird die Arbeit sehr kreativ und phantasievoll. Oft fallen dem Patienten dann wieder Dinge ein, die er längst vergessen glaubte.
Die Psychoanalyse wurde zwischen 1890 und 1920 von dem Neurologen Sigmund Freud (1856-1939) entwickelt.
Auch wenn Psychoanalyse zu Zeiten Freuds als „Rede-Kur“ galt, so ist es oft auch eine wertvolle „Schweige-Kur“. Psychoanalyse ist viel mehr als Reden, denn das Unbewusste ist oft „sprachlos“. Daher wird besonders auch der nicht-sprachliche Bereich in die Psychoanalyse einbezogen: Welche Bilder hat der Patient? Was fühlt er, wie riecht er, welche Stimmungen entstehen?
Forschungsarbeiten über Säuglinge und Psychosen haben dafür gesorgt, dass sich non-verbale Zustände besser verstehen lassen und auch in der Psychoanalyse besser verstanden werden. Häufig hilft eine Analyse der „Szene“, die sich abspielt, um Non-Verbales zu erfassen.
Es gehört zur täglichen Arbeit des Psychoanalytikers, die „Szene“ zu verstehen, die sich im Zusammenspiel mit dem Patienten ausbreitet. Das „szenische Verstehen“ ist ein wichtiger Bestandteil der Psychoanalyse.
Die Beziehung heilt
Durch die regelmäßigen Termine kann der Patient mit dem Therapeuten Beziehungssituationen herstellen, die ihm bekannt vorkommen und die ihm immer wieder Probleme bereiten. Das ist dann die Gelegenheit, diese Situation genau zu betrachten. Wie fühlt sich der Patient in der Beziehung zum Analytiker? Welche Gefühle ruft er beim Analytiker wach? Welche Gefühle löst der Analytiker beim Patienten aus?
Der Analytiker lässt sich in das Geschehen einbinden und ist mit dem Patienten zusammen oft ratlos und hilflos, aber er bleibt bei ihm. In der Psychoanalyse ist der Analytiker enorm „präsent“. Allein diese Präsenz kann eine große Wirkung auf den Patienten haben.
Durch seine Ausbildung kann der Analytiker gleichzeitig etwas erleben, es beobachten und darüber nachdenken und versuchen, das Geschehen zu verstehen. Oft behält der Analytiker auch in rauer See den Überblick und ermöglicht es dem Patienten, sich wieder sicherer zu fühlen und neue Beziehungserfahrungen zu machen.
Der Patient kann den Psychoanalytiker zudem auf eine bestimmte Art „benutzen“, so, wie er es braucht. Er kann auf den Analytiker wütend sein, ihn beschimpfen und beschuldigen, ihn verführen wollen, ihn in Streitereien verwickeln wollen, ihn verfluchen, ihn gedanklich verschwinden lassen, ihn gedanklich töten und wieder zum Leben erwecken.
Anders als in anderen Beziehungen kann sich der Patient hier relativ sicher sein, dass der Analytiker ihn nicht verlässt, sich nicht rächt, ihn nicht bestraft oder auf andere Weise handelt („agiert“). Diese Erfahrungen sind es, die grundlegende Veränderungen beim Patienten bewirken.
Couch oder Sitzen?
Viele Patienten fürchten sich vor der Situation, sich dem Therapeuten auf der Couch auszuliefern. Daher kann die Psychoanalytische Therapie im Sitzen zu Beginn für den Betroffenen angenehmer und sinnvoller sein. Wenn der Patient Vertrauen gefasst hat, kann es sein, dass die Therapie im Laufe der Zeit als Psychoanalyse im Liegen auf der Couch fortgeführt wird.
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- Psychoanalyse ist auch Psychotherapie
- Buchtipp: Psychoanalyse tut gut
Zum Nachlesen:

Dunja Voos
Psychoanalyse tut gut
Ein Ratgeber für Hilfesuchende
Psychosozial-Verlag 2011
Michael Ermann:
Psychosomatische Medizin und Psychotherapie
Ein Lehrbuch auf psychoanalytischer Grundlage
Kohlhammer Stuttgart 2004: 385
Wolfgang Mertens, Bruno Waldvogel:
Handbuch psychoanalytischer Grundbegriffe
Kohlhammer-Verlag 2008, 79 Euro
Psychoanalyse
erklärt von Susanne Wichmann, Privatpraxis für Psychotherapie, Heidelberg
Aus Zeitung und Zeitschrift:
Was verkauft eigentlich der Psychoanalytiker?
Leser fragen Peter Schneider, 17.3.2010
www.tagesanzeiger.ch
„Stern“-Interview mit Anne Springer:
Psychoanalyse ist harte Arbeit
Stern, 4.5.2006
Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am: 17.10.2012
Aktualisiert am 30.12.2019
Mertens meint
Selbst habe ich 2 Jahre lang mit der analytischen Gruppentherapie und zwei Jahre der analytischen Einzeltherapie gearbeitet und erfahre immer mehr, dass sich damit auch die Möglichkeiten, sich selbst zu stabilisieren erheblich verbessern, sobald ein Weg zum Unbewussten durch das Entschlüsseln der Träume möglich wurde. Allerdings ist dort Vorsicht geboten, wo im Verlauf von mehreren Jahren sich eine Art Abhängigkeit des Klienten vom Therapeuten und Analytiker manifestiert und die Ablösung des Klienten erschwert, da sich ja auch subjektiv die Lebenswirklichkeit des Analytikers ändert und auch dieser nicht vor etwaigen Schicksalsschlägen gefeit sein kann. Letztendlich bleibt es eine Frage der Objektivität, inwieweit sich somit ganz andere Wege erschließen lassen, durch die eine deutliche Verbesserung der Lebensqualität erreicht hat werden kann. Einen solchen Entwicklungsprozess auch bei anderen anzustoßen ist gerade im Bereich einer Behandlung sinnvoll, mit denen diese Änderungen deutlicher spürbarer wurden und auch werden konnten.
Annick meint
Ich kann mich Herrn Wendl nur anschliessen, auch ich lese Ihre Artikel sehr gerne.
Ihr Buch “Psychoanalyse tut gut – ein Ratgeber für Hilfesuchende” habe ich mir auch gekauft und finde es großartig! Es ist verständlich geschrieben und Ihr Schreibstil hat zudem etwas sehr Tröstliches.
Danke!
Bernhard Wendl meint
Großes Lob an Frau Dr. Voss. Ich schau ab und zu auf Ihrem Blog vorbei. Sehr gut Beiträge !